Skalierbare Halbleiter-Quantencomputer durch Elektronen-Shuttling
Die
Erschließung der Potentiale von Quantencomputing benötigt um Größenordnungen
mehr Quantenbits, als heutige Systeme absehbar erzielen können. ARQUE Systems
nutzt Elektronen-Shuttling zur Realisierung einer skalierbaren
Quantencomputerarchitektur.
Quantencomputing stellt durch Ausnutzung von quantenmechanischen Phänomenen einen grundlegenden Paradigmenwechsel für die Informationsverarbeitung dar und kann die Lösung zahlreicher hochgradig industrie-relevanter, derzeit in der Praxis unlösbarer Rechenprobleme ermöglichen. Die ausgenutzten Quanteneffekte entziehen sich nicht nur der Alltagserfahrung, sondern treten zudem nur auf kleinsten Größenskalen in Erscheinung und sind gleichzeitig empfindlich gegenüber äußeren Störungen. Daher ist die Entwicklung eines Quantenprozessors mit besonderen Anforderungen an u.a. Herstellungsprozesse und Materialgüte sowie Kontrollelektronik und Betriebsbedingungen verbunden. Quantenbits (Qubits), die elementaren Bauelemente eines Quantencomputers, sind daher unweigerlich mit Fehlern behaftet, die durch Quantenfehlerkorrekturverfahren ausgeglichen werden können, indem logische Qubits für die Implementierung von Algorithmen mittels eines Vielfachen an physikalischen Qubits kodiert werden. Daraus resultiert die Notwendigkeit von Quantenprozessoren mit mehreren Millionen von Qubits, was die Potentiale heutiger Qubit-Plattformen um viele Größenordnungen übersteigt.
Zur Lösung dieses Problems erforschen das Spin-off ARQUE Systems und dessen Heimatinstitution, das JARA-Institut für Quanteninformation der RWTH Aachen und des Forschungszentrum Jülich, gemeinsam mit Infineon Technologies sogenannte Halbleiter-Spin-Qubits, bei denen einzelne Elektronen elektrostatisch eingefangen und Elektronenspins für Rechenoperationen ausgenutzt werden. Die Qubits haben typischerweise einen Durchmesser von 100-200 nm und werden in einer Halbleiterstruktur eingefangen, indem Elektroden (≈ 50 nm Breite) auf der Oberfläche in jeweils 50 nm Abstand aufgebracht und anschließend geeignete Spannungen angelegt werden. Halbleiter-Spin-Qubits bieten den einzigartigen Vorteil, dass sie direkt mit in Deutschland verfügbarer industrieller CMOS-Technologie (Abbildung 1) kompatibel sind: der einzigen Technologie, die es erlaubt, viele Millionen identischer Kopien nanoskaliger Grundbausteine, den Transistoren, auf kleinster Fläche herzustellen.
Der erfolgreiche Nachweis der für Quantenfehlerkorrektur erforderlichen Ein- und Zwei-Qubit-Operationen ist für Halbleiter-Spin-Qubits bereits erfolgt. Die nächste Aufgabenstellung ist nun die Skalierung zu einer für erste Anwendungen benötigten Anzahl von mindestens 100 Qubits. Eine zentrale Herausforderung ist dabei die kurze Reichweite (≈ 100 nm) der sogenannten Austauschwechselwirkung, eines physikalischen Effekts mittels dessen typischerweise Zwei-Qubit-Operationen implementiert werden. Dadurch erhöht sich die Dichte an notwendigen Kontakten von der Qubit-Ebene zur Kontrollelektronik bereits bei einstelligen Anzahlen von Qubits derart, dass selbst mit modernster CMOS-Technologie eine Kontaktierung der Elektroden äußerst schwierig wird. Zudem müssen Halbleiter-Spin-Qubits bei Temperaturen knapp oberhalb des absoluten Nullpunkts betrieben werden, sodass die maximale Anzahl von individuellen Spannungssignalen durch die Kühlleistung limitiert ist.
ARQUE Systems löst dieses Problem durch den Einsatz von Elektronen-Shuttling: Elektronen werden zwischen Orten bewegt, an denen Qubits manipuliert werden, um lokale Zwei-Qubit-Operationen zu ermöglichen. Realisiert wird das Elektronen-Shuttling durch das Bauelement Quantum Bus (QuBus), das – wie ein Förderband in der Nanowelt – durch Zusammenschaltung von Elektroden auf Ebene des Quantenprozessors mittels lediglich vier Spannungssignalen beliebige Distanzen überbrücken kann und somit die Dichte der notwendigen Kontakte signifikant reduziert. In kürzlich durchgeführten und in Nature Communications publizierten Demonstrationsversuchen konnten als zentrale Meilensteine der Transfer eines Spin-Quantenzustands über eine Shuttling-Distanz von 560 nm mit mehr als 99 % Erfolgswahrscheinlichkeit sowie der Transfer und die Speicherung von bis zu 34 einzelnen Elektronen über eine Strecke von 19 µm nachgewiesen werden.
Um echte Skalierbarkeit zu ermöglichen, hat ARQUE Systems basierend auf dem QuBus-Shuttling-Element die SpinBus-Architektur (Abbildung 2) für einen Quantenprozessorchip (Abbildung 3) entwickelt[1]. Den Grundbaustein bildet die Einheitszelle, die alle wichtigen Qubit-Funktionalitäten bereitstellt, mindestens mit einem Qubit besetzt wird und beliebig in der Größe skaliert werden kann. Der Quantenprozessorchip besteht anschließend aus modular aneinander gefügten Einheitszellen. Kurzfristig können in der SpinBus-Architektur basierend auf heute verfügbarer CMOS-Technologie, den erzielbaren Qubit-Eigenschaften und der vorhandenen Kühlkapazität bis zu 144 Qubits mittels Raumtemperatur-Kontrollelektronik realisiert und somit erste wirtschaftlich relevante Umsätze erzielt werden. Einheitszellen können zudem flexibel in ihrer Größe dimensioniert werden, sodass sie perspektivisch über ausreichend Platz für integrierte Kontrollelektronik bei kryogenen Temperaturen verfügen. Durch die unmittelbare Integration der Kontrollelektronik können relevante Skalierungsgrenzen, z.B. die begrenzte Anzahl an Kontrollleitungen von Raumtemperatur-Kontrollelektronik zu den Qubits, überwunden werden, um Quantencomputer mit Millionen von Qubits zum Einsatz zu bringen und vielfältige Anwendungen mit signifikantem wirtschaftlichen Wachstumspotential ermöglichen zu können.
Die Verwertung der Forschungsaktivitäten des JARA-Instituts für Quanteninformation und des mehr als 20 Patentfamilien umfassenden Patentportfolios erfolgt durch ARQUE Systems. Als einziges Bootstrapped Start-up im Bereich Quantencomputing wird ARQUE Systems mit Infineon Technologies die Kommerzialisierung des Gesamtsystems vom Quantenprozessor bis zur Kontrollelektronik vorantreiben und plant bis zum Jahr 2027 ein 25-Qubit-System auf den Markt zu bringen.
Referenzen
[1] Künne, Willmes et al., „The
SpinBus architecture for scaling spin qubits with electron shuttling.“ Nat.
Commun. 15, 4977 (2024).
[2] Langione et al., „Where will
Quantum Computers create value and when?“, Boston Consulting Group (2019).
Autoren: Dr. Markus Beckers und Matthias Künne – ARQUE Systems GmbH
ARQUE Systems GmbH
Technologische Basis
- Halbleiter-Spin-Qubits kompatibel mit etablierter CMOS-Technologie aus Deutschland
- Nachgewiesene Wettbewerbsfähigkeit gegenüber konkurrierenden Qubit-Plattformen und ausgezeichnete Eignung für Quantenfehlerkorrektur
Innovation
- Qubit-Kopplung über beliebige Distanzen mittels
- Elektronen-Shuttling im QuBus
- Erschließung des Skalierungspotentials von
- Halbleiter-Spin-Qubits durch die SpinBus-Architektur basierend auf modularen Einheitszellen
Primäre Anwendungsfelder
- Konkurrenzfähige Demonstratoren auf Basis heutiger Technologie…
- … sowie die flexible Integration von kryogener Kontrollelektronik für perspektivisch Millionen von Qubits
Impact
- Erschließung von industrierelevanten Anwendungen mit geschätztem Marktvolumen von 450-850 Mrd. USD [2]
Abbildung 1:
Reinraum von Infineon Technologies, in dem mittels industrieller
CMOS-Fabrikationsprozesse Halbleiter-Spin-Qubits hergestellt werden können. ©
Infineon Technologies AG
Abbildung 2:
SpinBus-Architektur basierend auf Einheitszellen (transparente Box), die zur
Integration von Kontrollelektronik in der Größe beliebig skaliert werden
können. Grüne QuBus-Elemente werden zur Kopplung von Einheitszellen verwendet,
rote und blaue QuBus-Elemente für jede Einheitszelle separat zur
Implementierung aller Qubit-Operationen. © JARA-Institut für Quanteninformation
(PGI-11), Forschungszentrum Jülich GmbH
Abbildung 3:
Quantenprozessor-Prototyp auf spezifisch entwickelter gedruckter Leiterplatte
wie zur Demonstration des Transfers eines Spin-Quantenzustands über eine
Distanz von 560 nm mit 99 % Erfolgswahrscheinlichkeit verwendet. © ARQUE
Systems GmbH