Biobasierte Carbonfasern – Nachhaltige Hochleistung für den Leichtbau
© Fraunhofer IAP Bei 2900 °C werden am Fraunhofer IAP Bio-Fasern aus Cellulose graphitisiert. Sie erreichen die mechanischen Eigenschaften erdölbasierter Carbonfasern.
Carbonfasern werden aus polymeren faserförmigen Vorläufermaterialien hergestellt, den Präkursoren. Gegenwärtig basieren 95 Prozent der Carbonfasern auf dem Weltmarkt aus erdölbasiertem Polyacrylnitril (PAN) als Präkursor. Am Potsdamer Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP werden Präkursoren aus nachwachsenden Rohstoffen entwickelt. Ein neuartiger Ofen, der Temperaturen von bis zu 2900 °C erzeugt, ermöglicht es nun, biobasierte Carbonfasern herzustellen, deren Eigenschaften teilweise die von herkömmlichen PAN-basierten Carbonfasern erreichen. Auf der Kunststoffmesse K in Düsseldorf stellt das Fraunhofer IAP vom 16. bis 23. Oktober 2019 verschiedene innovative Präkursormaterialien und andere polymere Hochleistungsmaterialien und Produkte vor.
Das Fraunhofer IAP auf der K 2019: Fraunhofer-Stand Halle 7, Stand SC01
Carbonfasern, auch Kohlenstofffasern oder C-Fasern genannt, sind das festeste und steifste Material, das derzeit in großtechnischen Anlagen erzeugt werden kann. Dies sowie ihr geringes Gewicht machen sie heute vor allem im Leichtbau zur Verstärkung von Kunststoffen unersetzlich. Hier vollbringen sie in stark beanspruchten Bauteilen beispielsweise in Flugzeugen, Autos, Sportgeräten oder Windkraftanlagen, wahre Höchstleistungen. Windkraftanlagen werden in Zukunft zudem immer größer werden, um dem Bedarf nach alternativen Energien gerecht zu werden. Auch im Bereich der alternativen Mobilität sind Carbonfasern als leichtes Verstärkungsmaterial in Autos unter anderem für Wasserstofftanks von großem Interesse. Ein weiteres wichtiges perspektivisches Anwendungsfeld der Carbonfasern ist das Bauwesen. Sogenannter Carbonbeton ist leichter als Stahlbeton und korrodiert nicht. Schon heute werden bröckelnde Brücken damit nachhaltig saniert oder auch neu errichtet. Mit Blick auf globale Umweltaspekte wächst im Bereich des Leichtbaus die Nachfrage nach biobasierten und nachhaltigen Hochleistungsmaterialien stetig, auch um grüne Technologien der Zukunft zu unterstützen. Hochleistungs-Carbonfasern auf Basis nachwachsender Rohstoffe sind derzeit jedoch praktisch nicht am Markt verfügbar.
Biobasierte Carbonfasern – Wo liegen die Herausforderungen?
Auf dem Weg zur Carbonfaser, die fast ausschließlich aus Kohlenstoff
besteht, ist der Umweg über einen formbaren Präkursor notwendig, denn
reiner Kohlenstoff ist weder löslich noch schmelzbar. Er lässt sich
daher nicht direkt in Faserform überführen. »Die Herstellung von
Carbonfasern aus Präkursoren, die auf nachwachsenden Rohstoffen wie
Cellulose, Lignin oder Hemicellulose basieren, war bisher zwar
prinzipiell möglich, jedoch sind bei den üblichen Pyrolysetemperaturen
von bis zu 1600 °C die mechanischen Eigenschaften Steifigkeit und
Festigkeit sehr beschränkt. Solche biobasierten Carbonfasern stellen
keine ernstzunehmende Alternative zu den erdölbasierten Pendants für
Hochleistungsanwendungen dar«, erklärt Dr. Jens Erdmann, Faserspezialist
am Fraunhofer IAP.
Um biobasierte Carbonfasern für Hochleistungsanwendungen
herzustellen, müssen also einige Nachteile überwunden werden: 1. Die
schlechte Materialausbeute. Bisher werden nur etwa 10 bis 30
Gewichtsprozent des Präcursors zur Carbonfaser, je nach eingesetztem
biobasiertem Rohstoff. Der Rest geht bei der thermischen Umwandlung vom
Präkursor zur Carbonfaser in Form von gasförmigen Abprodukten verloren.
2. Der geringe Anteil an geordneten Kohlenstoffstrukturen in der
Carbonfaser. 3. Die geringe Orientierung der geordneten
Kohlenstoffstrukturen entlang der Faserachse. Sie bestimmt maßgeblich
die Eigenschaften der Faser. »Am Fraunhofer IAP haben wir uns aller drei
Nachteile angenommen und forschen unter anderem mit Partnern aus der
Industrie erfolgreich an praktischen und ökonomischen Lösungen«, so
Erdmann.
Extreme Temperaturen für nur wenige Sekunden ermöglichen bessere Eigenschaften
»Die größte Herausforderung liegt jedoch darin, die mechanischen
Eigenschaften, insbesondere Festigkeit und Steifigkeit, der biobasierten
Carbonfasern um ein Vielfaches zu steigern«, so Erdmann. »Dafür haben
wir einen speziellen Ultrahochtemperaturofen anfertigen lassen, in dem
die biobasierten Carbonfasern zusätzlich für wenige Sekunden bei
Temperaturen zwischen 2700 und 2900 °C thermisch nachbehandelt werden.
In diesem Temperaturbereich lassen sich die Kohlenstoffstrukturen in der
Faser durch Verstrecken so anordnen, dass sie in Richtung der
Faserachse orientiert sind. Das macht die Fasern deutlich fester und
steifer und sie erhalten mechanische Eigenschaften, die das Niveau
erdölbasierter Carbonfasern erreichen. Wir erhalten sogenannte
High-Modulus-Fasern«, so Erdmann.
Das Arbeitsprinzip des Ultrahochtemperaturofens ist vergleichbar mit
dem einer Glühlampe, bei der durch einen filigranen Kohlenstofffaden so
viel Strom geleitet wird, bis dieser so heiß wird, dass er glüht. Nur
ist der Ofen um ein Vielfaches größer als eine Glühlampe. Statt des
Kohlenstofffadens hat er ein massives Grafitrohr, das als Heizelement
dient. Je nach angestrebter Temperatur wird ein Strom von bis zu 1500
Ampere hindurch geleitet bis es glüht. Die zu behandelnde Carbonfaser
wird kontinuierlich durch das Rohr gezogen und dabei gezielt verstreckt.
Unerlässlich ist hierbei eine Schutzgasatmosphäre, die sowohl den Ofen
als auch die durchlaufende Faser vor thermo-oxidativer Zersetzung
schützt.
Forschen für die Industrie
Mit dem neuen Ofen eröffnen sich für das Fraunhofer IAP, und damit
auch für dessen Kooperationspartner, viele neue Möglichkeiten, um
leichte und stabile Materialien zu entwickeln. Das bisherige
Forschungsangebot – Herstellung von Fasern aus der Lösung und aus der
Schmelze, Modifizierung von Biopolymeren, Polymersynthese, thermische
Konvertierung und Analytik sowie Material- und Strukturcharakterisierung
– wird um die Herstellung und Entwicklung von biobasierten
Hochleistungs-Carbonfasern optimal ergänzt.
»In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass es für Unternehmen, die
Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen im Bereich der
Ultrahochtemperaturbehandlung von Fasern benötigen, äußerst schwierig
ist, Partner zu finden, die über einen Ultrahochtemperaturofen verfügen.
Am Fraunhofer IAP ist das jetzt möglich. Der Ofen ist ideal, um mit
wenig Fasermaterial innerhalb kurzer Zeit viele Variationen von
Parametern zu testen«, freut sich Jens Erdmann.