Augmented-Reality-System erleichtert die manuelle Herstellung von Produkten aus Faserverbundmaterialien
© Fraunhofer IPT Das Fraunhofer IPT hat eine Software für marktübliche Smart Glasses entwickelt, die die exakte Ablage der Faserhalbzeuge direkt auf dem Bauteil virtuell sichtbar macht.
Die Herstellung von Produkten aus Faserverbundkunststoffen (FVK) umfasst heute oft noch viele manuelle Arbeitsschritte: Position und
Orientierung der Faserhalbzeuge müssen von Hand exakt ausgerichtet
werden, damit das Produkt nach dem Laminieren und Aushärten die
gewünschte Stabilität und Flexibilität erhält. Nur so kann der Anwender
die Vorteile des Materialverbunds am Ende voll ausschöpfen. Zur
Unterstützung des manuellen Ablegeverfahrens, des sogenannten
Preformings, hat das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT
aus Aachen eine intuitiv zu bedienende Software für marktübliche
Augmented-Reality-Brillen entwickelt: Das System gibt die korrekte
Ablage der Faserhalbzeuge als virtuelle Darstellung auf der Werkzeugform
vor und kann damit die Qualität und Leistungsfähigkeit der
Produktionsprozesse deutlich verbessern. Für das Drapieren von Faserhalbzeugen zur Bauteilherstellung und
-reparatur werden Informationen über die Position und Orientierung der
Faserschichten bisher in sogenannten Plybooks bereitgestellt: Kleine und
mittlere Unternehmen arbeiten häufig noch mit Anweisungen in Papierform
und sind in hohem Maße auf die Erfahrung des ausführenden Mitarbeiters
angewiesen. Größere Unternehmen, beispielsweise in der
Luftfahrtindustrie, setzen bereits auf Laserprojektionssysteme, mit
denen die Halbzeugposition auf die Werkzeugform projiziert wird. Diese
ermöglichen es auch weniger geübten Personen, die Halbzeuge passend zu
positionieren. Solche unterstützenden Systeme sind jedoch
vergleichsweise teuer und unflexibel in der Anwendung.
Digitale Anleitung und Dokumentation direkt am Bauteil
Im Fraunhofer-Forschungsprojekt »Smart-Lay-Up!« hat das Fraunhofer
IPT nun eine Alternative zu diesen beiden Arbeitshilfen entwickelt: eine
Software, die unter Einsatz marktüblicher Smart Glasses die exakte
Ausrichtung und Positionierung der Halbzeuge direkt auf dem Bauteil
sichtbar macht. Das Zuschneiden der Halbzeuge wird ebenfalls durch
Projektion von Sollkonturen unterstützt. Das kostengünstige System ist
gegenüber den konventionellen Vorgehensweisen mit Papier oder
laserbasierten Projektionssystemen deutlich flexibler in der Handhabung
und außerdem in der Produktionsumgebung beliebig skalierbar, also auch
für die Serienfertigung von FVK-Produkten geeignet.
Die Anwendung, die das Fraunhofer IPT entwickelt hat, stellt dem
Werker auf der Datenbrille deutlich mehr als nur eine digitale Version
des Plybooks bereit: Sie bietet ihm darüber hinaus auch eine
Augmented-Reality-Umgebung, in der die Informationen zur Ausrichtung der
reinen Faserschichten oder vorimprägnierten Faserprepregs direkt über
das vor ihm liegende Bauteil gelegt werden. Eine
Schritt-für-Schritt-Anleitung führt ihn durch den Preforming-Prozess und
dokumentiert währenddessen auf Wunsch die Arbeiten zum Zweck der
Qualitätssicherung.
Die Software kann als App einfach auf Datenbrillen mit
Android-Betriebssystem installiert und für die jeweilige Laminieraufgabe
angepasst werden. Unternehmen, die die Technologie ausprobieren und
einsetzen möchten, können die App ab sofort im Rahmen einer
Machbarkeitsstudie mit eigenen Mitarbeitern in der Produktion testen und
dabei individuelle Bedarfe mit Mitarbeitern des Fraunhofer IPT
diskutieren.
Kostengünstiges System für Hersteller individueller Leichtbauprodukte
Die Aachener Forscher prognostizieren, dass sich durch die neue
Technologie die Genauigkeit der Verarbeitung von Bauteilen aus
faserverstärkten Hochleistungswerkstoffen verbessern kann. Dadurch, dass
die Prozesse nun leichter nachvollziehbar werden, lässt sich die
Fehlerrate senken – bei gleichzeitig oft deutlich kürzeren
Prozesszeiten. Die Anschaffung des Brillensystems, das weniger als ein
Zehntel der kostspieligen Laserprojektionssysteme kostet, wird damit
auch für kleine und mittlere Unternehmen erschwinglich und kann in
Märkten wie der Medizintechnik, dem Bootsbau, dem Maschinenbau, aber
auch bei der Herstellung gehobener Consumer-Produkte aus
FVK-Leichtbaumaterialien zu spürbaren Produktivitätsverbesserungen
führen.
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT vereint
langjähriges Wissen und Erfahrung aus allen Gebieten der
Produktionstechnik. In den Bereichen Prozesstechnologie,
Produktionsmaschinen, Produktionsqualität und Messtechnik sowie
Technologiemanagement bietet das Fraunhofer IPT seinen Kunden und
Projektpartnern angewandte Forschung und Entwicklung für die vernetzte,
adaptive Produktion. Das Leistungsspektrum des Instituts orientiert sich
an den individuellen Aufgaben und Herausforderungen innerhalb
bestimmter Branchen, Technologien und Produktbereiche, darunter
Automobilbau und -zulieferer, Energie, Life Sciences, Luftfahrt,
Maschinen- und Anlagenbau, Optik, Präzisions- und Mikrotechnik sowie
Werkzeug- und Formenbau.
Während der JEC Composites World 2020, der internationalen Messe für
Verbundwerkstoffe und -technologien vom 12. bis 14. Mai in Paris,
stellen die Forscher des Fraunhofer IPT ein Beispielsystem aus einer
Microsoft HoloLens mit der neu entwickelten Software an einem Prüfstand
zum Handlaminieren auf dem Messestand L97 in Halle 5 dem Fachpublikum
vor.