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Interview Lilium-Gründer Daniel Wiegand: „Unser Jet wird 2025 auf den Markt kommen“

Daniel Wiegand „Wir brauchen definitiv keine Wunderbatterie für unseren Lilium-Jet.“ (Foto: The NewYorkTimes/Redux/laif)

Das Flugtaxi-Start-up sammelt über 240 Millionen Dollar ein – trotz Corona und Zweifeln am Konzept. CEO Daniel Wiegand verteidigt den Ansatz und verspricht mehr Transparenz.

Das Münchener Flugtaxi-Start-up Lilium will trotz des Verlusts eines von zwei Prototypen daran festhalten, ab 2025 mit dem Serien-Jet in den Markt zu gehen. „Wir liegen im Plan“, sagte Daniel Wiegand, der Mitgründer und CEO des Jungunternehmens, dem Handelsblatt.Wiegand zeigt sich erleichtert, dass es im aktuell schwierigen Umfeld gelungen sei, bei bestehenden Investoren erneut über 240 Millionen US-Dollar einzusammeln. „Es ist ein starkes Signal, dass wir in den turbulenten Zeiten der Coronakrise die Summe aufbringen konnten, die wir haben wollten, und das zum Zeitpunkt, den wir uns vorgenommen hatten“, sagte Wiegand. Das Geld werde in Entwicklungsarbeiten, Flugtests und die Vorbereitung der Serienproduktion des Lilium-Jets fließen. Lilium musste in den letzten Monaten einige Rückschläge verkraften. Zum einen brannte ein Demonstrator bei Wartungsarbeiten ab, sodass er nicht mehr genutzt werden kann. Zur Ursache wollte sich Wiegand nicht äußern. Man wolle das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchung abwarten, die man freiwillig eingeleitet habe.

Zum anderen hat ein Luftfahrtexperte auf Basis eigener Berechnungen bezweifelt, dass es möglich sei, mit Elektromotoren und Batterien einen Viersitzer senkrecht starten und 300 Kilometer weit fliegen zu lassen.

Wiegand kritisierte das Vorgehen in der Studie. Zwar seien bis auf eine die richtigen Formeln verwendet worden, aber man habe die falschen Zahlen eingesetzt. Das habe dazu geführt dazu, dass die zugrunde gelegte Leistung, die nötig sei, um das Flugzeug schweben zu lassen, etwa acht bis zehn Mal höher berechnet worden sei als die, die Lilium bei seinem Demonstrator messe. „Es ist einfach falsch zu behaupten, dass die Batterie nach einer Minute leer ist“, sagte Wiegand. Lilium benötige zwar für das spätere Serienmodell noch etwas bessere Batterien als die heutigen. „Wir brauchen aber definitiv keine Wunderbatterie für unseren Lilium-Jet“, stellte Wiegand klar.

Herr Wiegand, angeführt von dem chinesischen Technologieunternehmen Tencent haben Ihre Geldgeber noch einmal kräftig in Lilium investiert. Was machen Sie mit dem zusätzlichen Geld?
Wir wollen damit Entwicklungsarbeiten, Flugtests und vor allem die Vorbereitung der Serienproduktion unseres Jets finanzieren. Lilium hat zuletzt mehrfach für Negativschlagzeilen gesorgt. Ihnen ist einer von zwei Flugtaxi-Prototypen abgebrannt. Und dann haben Flugzeugexperten lautstark die Machbarkeit Ihrer Idee angezweifelt. 

War es deshalb dieses Mal schwerer, an Geld zu kommen?
Nein, überhaupt nicht. Die Investoren dieser Runde hatten alle bereits in Lilium investiert, sie kennen unsere Pläne, unsere internen Berechnungen. Sie wissen um die Leistung des Lilium-Jets. Sie wissen auch, dass der Brand ärgerlich, aber keine Katastrophe war. Unsere Investoren haben uns einen starken Vertrauensbeweis gegeben. So eine interne Finanzierungsrunde kann ja auch ein Zeichen dafür sein, dass es schwerer wird, externe Geldgeber zu finden. In unserem Fall nicht. Wir verfolgen keine Strategie des Volltankens, sondern des schrittweisen Nachtankens. Wenn der Zeitpunkt für externe Runden kommt, werden wir externe Runden sehen. 

Hat die Bewertung nun zugelegt?
Es ist ein starkes Signal, dass wir in den turbulenten Zeiten der Coronakrise die Summe aufgebringen konnten, die wir haben wollten, und das zum Zeitpunkt, den wir uns vorgenommen hatten. Es lief nach Plan. Wir sind sehr zufrieden, dass sich auch unsere Bewertung deutlich verbessert hat. Aber die Entwicklung des Jets läuft alles andere als nach Plan. 

Warum genau hat der eine Demonstrator Feuer gefangen?
Einspruch. Wir liegen im Plan. Der Brand ist im Hangar bei Wartungsarbeiten passiert. Um der Sache auf den Grund zu gehen, haben wir eine Untersuchung mit externen Fachleuten eingeleitet. Das machen wir übrigens freiwillig, eine behördliche Anweisung dazu gibt es nicht. Aber wir wollen es wissen, um daraus zu lernen. Aber Sie haben doch bestimmt einen Verdacht. Ich möchte nicht spekulieren. Wir warten ab, was bei dieser Untersuchung herauskommt. Klar ist, dass der Demonstrator so sehr beschädigt ist, dass wir ihn nicht mehr fliegen können. Aber er sollte ohnehin in den nächsten Monaten ausgemustert werden. Unser zweiter Demonstrator steht bereit. 

Wann wird der Jet die von Ihnen versprochene Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde erreichen?
Der Demonstrator fliegt bereits 100 Stundenkilometer. In den nächsten Monaten planen wir weitere Tests. Wir testen auch Bodenprozesse, die Stabilität oder den Ausfall von Systemen. Parallel dazu sind wir seit neun Monaten in der Entwicklung und im Zulassungsprogramm des Serienflugzeugs. Es wird also spannend. Die Zulassung dürfte recht aufwendig sein, schließlich handelt es sich um ein völlig neues Flugvehikel. Wir haben uns schon vor zwei Jahren bei der Flugsicherheitsagentur EASA um die Zulassung des Serienflugzeugs beworben. Es war wichtig, den Dialog so früh zu starten, weil es in der Tat teilweise neuer Regularien bedarf. Im Sommer sind dann die technischen Richtlinien für Senkrechtstarter von der EASA veröffentlicht worden. Daran war Lilium auf der Industrieseite intensiv beteiligt. 

Wie reagieren denn die deutschen Behörden auf die neue Technologie?
Wir sind beeindruckt, wie groß die Unterstützung der Behörden ist. Die Chance, die ein emissionsfreier regionaler Flugservice bietet, wird gesehen. 

Welche Themen sind bei der Regulierung noch offen?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Heute verlangen die Regularien zwei Piloten. Wir haben jedoch die Zusage für einen Piloten. Die notwendige Novellierung der Vorschriften ist bereits auf gutem Weg. 

Bleibt es bei dem Zeitplan, ab 2025 mit dem Serien-Jet an den Markt zu gehen?
Ja. Dabei bleibt es. Wir haben ganz bewusst eine etwas konservativere Zeitschiene gewählt als einige unserer Wettbewerber. 

Jüngst hat ein Luftfahrtingenieur, der anonym bleiben wollte, im Fachportal „Aerokurier“ erhebliche Zweifel am technologischen Konzept von Lilium geäußert. Was sagen Sie dazu?
Die Annahmen hinter den Berechnungen sind nicht richtig, wie wir bereits in veröffentlichten Videos gezeigt hatten. Es ist traurig, wenn jemand seine Arbeit nicht ausreichend macht. Es war auch enttäuschend zu sehen, dass daran Personen beteiligt waren, die man kennt. Das hat auch unser Team emotional berührt.

Wollen Sie sagen, er habe falsch gerechnet?
Bis auf eine wurden die richtigen Formeln verwendet, aber die falschen Zahlen eingesetzt. Das führte dazu, dass die zugrunde gelegte Leistung, die nötig ist, um das Flugzeug schweben zu lassen, etwa acht- bis zehnmal höher berechnet wurde als die, die wir bei unserem Demonstrator messen. Dieser Fehler führt zu dem Schluss, dass die Batterie nach einer Minute Schweben leer ist und es kaum noch ausreichend Energie gibt, um überhaupt in die Vorwärtsbewegung zu kommen. 

Wie konnte es zu so einem Fehler kommen?
Das weiß ich nicht. Aber die Autoren der sogenannten Studie haben uns die Berechnungen vor der Veröffentlichung nicht gezeigt. Was hier als Analyse verkauft wurde, war wohl eher eine Ferndiagnose. Das ist wenig seriös. Aber auch mit Ihren Werten werden Sie die erhoffte Reichweite von 300 Kilometern nicht erreichen. Wir werden 2025 die versprochene Reichweite schaffen. Der Demonstrator kann das nicht, aber wir haben bereits in veröffentlichten Videos gezeigt, dass er mehrere Minuten schweben kann, was die Grundthese der Studie widerlegt. Es ist einfach falsch zu behaupten, dass die Batterie nach einer Minute leer ist. Für einen Senkrechtstart braucht man viel Energie, weil das gesamte Gewicht zum Tragen kommt, anders als beim Start eines Flugzeugs mit Auftrieb. Zwar sind Elektromotoren leichter und haben mehr Leistungsdichte, dafür gibt es die schweren Batterien. 

Können Sie diesen Widerspruch tatsächlich lösen?
Schon geschehen. Es ist richtig, der Senkrechtstarter braucht ungefähr fünfmal so viel – wie wir Ingenieure sagen – installierten Schub wie ein normales Flugzeug. Das kann man nur lösen, indem man alle Komponenten extrem leicht macht. Das haben wir im Demonstrator geschafft. Der hat bei wichtigen Komponenten jetzt schon die Leistungsdichte, die wir für das Serienflugzeug brauchen. 

Und die Batterie?
Wir arbeiten daran, dass die Systeme rund um die Batteriezellen möglichst leicht sind, diese aber dennoch alle Anforderungen – Stichwort Brandschutz – erfüllen. Wir fliegen heute Batterien mit dem Technologiestand aus dem Jahr 2014. Das sind gängige Zellen, die man sogar bei Amazon bestellen kann. Unsere Konfiguration funktioniert also mit heutigen Standardbatterien. Damit schaffen wir nicht ganz die 300 Kilometer, aber eine signifikante Reichweite.

Also brauchen Sie noch bessere Akkus?
Wir brauchen etwas bessere Batterien als die, die heute im Demonstrator sind. Wir brauchen aber definitiv keine Wunderbatterie für unseren Lilium-Jet. Tatsächlich testen wir bereits entsprechende Batterien auf unserem Prüfstand. Viele kleine Rotoren müssen mehr Luftmassen beschleunigen, um das Gewicht zu stemmen. Das verursacht Lärm. 

Wie lösen Sie das?
Für unsere Branche ist die Lärmfrage von zentraler Bedeutung. Deshalb haben wir uns für den Lilium-Jet von vornherein für ein besonders leises Antriebskonzept entschieden. Wir setzen elektrisch betriebene Turbo-Fans ein. Durch den Mantel um die Rotoren und darin verbaute Schalldämpfer wird das Flugzeug leise. Im Gegensatz dazu wird bei offenen Propellern der Lärm nach allen Seiten ungehindert abgestrahlt. 

Warum werden die Zweifel am Konzept ausgerechnet jetzt laut, wenn die grundsätzlichen Herausforderungen schon lange bekannt sind?
Ich vermute, dass das Projekt mit jetzt über 400 Mitarbeitern und einer großen Finanzierung in der Branche eine gewisse Sichtbarkeit erreicht hat. Das ruft immer Kritiker auf den Plan. Auch Tesla bekam viel Kritik. Auch bei SpaceX wurde bezweifelt, dass eine Rakete wieder auf dem eigenen Triebwerk landen kann. 

Vielleicht reicht das etablierte Wissen etwa in der Luft- und Raumfahrt nicht aus, um disruptive Konzepte wie die von SpaceX oder auch Lilium wirklich zu beurteilen?
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Für uns gilt die gleiche Physik wie für alle. Wir kochen alle nur mit Wasser. Wir lösen die Probleme im Rahmen der normalen Gesetze und Erkenntnisse in der Luftfahrt. Deshalb haben wir den Kritiker auch zu uns eingeladen, aber er wollte nicht kommen. Dabei könnte er bei so einem Besuch verstehen, was wir hier machen. Denn hier gibt es nichts, was ein Luftfahrtingenieur nicht verstehen kann. 

Hat Lilium vielleicht auch Fehler in der Kommunikation gemacht?
Es gibt Dinge, die wir aus diesem Vorfall lernen. Wir haben bisher wenig Details unserer Technologie kommuniziert. Je näher wir dem Markteintritt kommen, desto transparenter werden wir dazu sein. Wir sind zwar ein junges, aber doch ein normales Luftfahrtunternehmen. Und wir werden jetzt mehr mit der Luftfahrtgemeinde sprechen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Wiegand.