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Metallsubstitution per Spritzgießtechnik gerät allmählich in Reichweite

Spritzgießen als hocheffizientes und vollautomatisiertes Verfahren findet in vielen Branchen Anwendung. Für mechanisch stark beanspruchte Bauteile kommen dabei Glas- oder Kohlenstofffasern zur Verstärkung zum Einsatz. Beim konventionellen Spritzgießen brechen diese Fasern bei der Verarbeitung jedoch auf einen kleinen Teil ihrer Ausgangslänge, was die erreichbaren mechanischen Eigenschaften enorm einschränkt. Für Großserienanwendungen wird nun eine in NRW entwickelte Sonderspritzgießtechnik vorgestellt, die die problematische Faserverkürzung gegenüber dem Stand der Technik deutlich entschärft.

Für High-Performance Anwendungen stehen derzeit schon sogenannte langglasfaserverstärkte Thermoplaste (LFT) zur Verfügung, die jedoch schwer zu verarbeiten und kostenintensiv sind. Die Arbeitsvereinigung Faserverstärkte Kunststoffe weist demnach für LFT trotz des theoretischen Potentials bisher eine untergeordnete Rolle im Markt aus [1]. Alternativ gibt es Bemühungen der Maschinenhersteller, die Faserverkürzung durch sogenannte Direktcompoundierungsverfahren zu reduzieren. Dabei wird über eine Sonderanordnung erst reines Granulat plastifiziert und dann Fasern zu-geführt, die schließlich gleichmäßig vermischt und dann spritzgegossen werden. Direktcompoundierungsverfahren sparen Materialkosten, was überhaupt eine Amortisation der hohen Anschaffungskosten ermöglicht. Ein Problem bleibt dabei die gleichmäßige Homogenisierung der Fasern in der Schmelze. Dafür muss, wie auch bei der konventionellen Herstellung von faserverstärktem Granulat, Scherung in die Schmelze eingetragen werden. Gleichzeitig bricht eben diese Scherung die Fasern wieder auf eine reduzierte Länge. Ein scheinbar nicht aufzulösender Zielkonflikt.

Das Potential ist grundsätzlich vorhanden: Untersuchungen [2] zeigen auf, dass auch in spritzgegossen Bauteilen bei ausreichender Faserlänge und Verteilung der Fasern im Bauteil die Steifigkeit und Festigkeit von endlosfaserverstärkten Bauteilen erreichbar sind.

Das gemeinsam von der Kunststofftechnik Paderborn und der Arenz GmbH, Meckenheim, entwickelte Sonderspritzgießverfahren „Inline-Compoundierung“ zeigt nun auf, wie vorhandene Direktcompoundierungsverfahren kostengünstig die bisher ungelösten Herausforderungen dieser Technologie hinsichtlich Verteilung und Länge der Fasern umgehen. Untersuchungen an einem Prototyp erreichen in dem Massenkunststoff Polypropylen mit Faserverstärkung eine Zunahme der Festigkeit von 10-15% gegenüber dem Stand der Technik –bei Materialkosten unterhalb des unverstärkten Materials. Übertragen auf Hochleistungskunststoffe rücken damit die mechanischen Eigenschaften von Metall bei wesentlich reduziertem Gewicht durch den Einsatz von Direktcompoundierung beim Spritzgießen in Reichweite

Dafür wird ein eigens entwickelter Sonderschneckenextruder mit einem neuartigen Mischelement mit zwei sequentiell arbeitenden Kolbenspritzeinheiten gekoppelt. Der Extruder zur Plastifizierung und Faservermischung arbeitet kontinuierlich, der Spritzgießprozess ist jedoch zyklisch und damit diskontinuierlich aufgebaut. Durch den Einsatz zweier Kolbenspritzeneinheiten wird insofern ein kontinuierlicher Schmelzefluss ermöglicht, was eine deutliche Verbesserung der Schmelzequalität bewegt.

Die Herausforderung der möglichst schonenden Verteilung der Fasern in der Schmelze erfolgt über eine patentierte Vorbehandlung der Fasern schon vor dem Schmelzekontakt. Durch die Vorbehandlung können die Fasern mit minimaler Belastung ausreichend in der Schmelze verteilt werden und erreichen das Bauteil mit bisher nicht erreichten Faserlängen in entsprechender Homogenität.

Im Technikum der Kunststofftechnik Paderborn wurde ein Prototyp des Verfahrens für unterschiedliche Matrices erfolgreich qualifiziert. Die Messung der Faserlängen im Bauteil, der Homogenität der Faserverteilung [4] und der daraus resultierenden mechanischen Eigenschaften erfolgt über das institutseigene Prüflabor. In Polypropylen sind Festigkeiten im Normzugversuch von 130 MPa erreichbar, wobei Standardgranulate und Schnittglasfasern von 4,5mm Faserlänge zum Einsatz kommen. Dadurch liegen die Materialkosten sogar unterhalb des Preises des Matrixmaterials, die verstärkenden Glasfasern werden betriebswirtschaftlich zum kostensenkendem Füllstoff. Zum Vergleich: wesentlich teurere LFT-Granulate, die per Pultrusion hergestellt werden müssen, erreichen in vergleichbaren Rezepturen kaum über 100 MPa Festigkeit.

Aktuell wird das Verfahren für technische Kunststoffe am Beispiel von Polyamid 6 bis ins Frühjahr 2021 weiterqualifiziert. Hierfür wurde eine neue Schnecke entwickelt und ebenfalls experimentell qualifiziert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Reduzierung der Faserverkürzung auch in sehr niedrigviskosen Matrices wie Polyamid erfolgreich umgesetzt werden kann. Die Industrialisierung des Verfahrens soll in Kürze mit weiteren Partnern beginnen.

Literaturverzeichnis

  1. Witten, E.; Mathes, V: Der Markt für Glasfaserverstärkte Kunststoffe (GFK) 2019, AVK
  2. AVK – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe e.V.: Handbuch Faserverbundkunststoffe/Composites – Grundlagen – Verarbeitung – Anwendung, Springer-Verlag, 4. Auflage, Wiesbaden, 2014
  3. Pischinger, S.; Seiffert, U.; Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik, Springer Fachmedien Wiesbaden, 8. Auflage, 2016
  4. Schadhauser, M., Martin, J., Würtele, M., Karlinger, P., Modler, N.: Schadhauer Artikel: Homogenität ist der Schlüssel, Kunststoffe, 09/17

Autoren

Prof. Dr.-Ing Elmar Moritzer leitet den Lehrstuhl für Kunststofftechnologie der Fakultät Maschinenbau an der Universität Paderborn

Frank Altendorf ist geschäftsführender Gesellschafter der Arenz GmbH, Meckenheim

Marius Wittke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunststofftechnologie

Projektkonsortium Kunststofftechnik Paderborn & Arenz GmbH

Tätigkeitsschwerpunkte

  • Forschung & Entwicklung
  • Technologietransfer im Bereich Faserverarbeitung

Branchen- und Technologiefelder

  • Spritzgießen und Extrusion von FVK, insbesondere Automotive, Konsumgüter und Bauindustrie

Wichtigste Regionen für die eigene Wertschöpfung (Entwicklung/Produktion/Märkte)

  • Deutschland

http://www.ktpweb.de

Abbildung 1: Normierte mechanische Eigenschaften faserverstärkter Kunststoffe (bezogen auf endlosfaserverstärkte Kunststoffe) als Funktion der Faserlänge nach [2]
Abbildung 2: Anlagenkonzept der Inline-Compoundierung mit Sonderschneckenextruder und sequentiell arbeitenden Kolbenspritzeinheiten für einen kontinuierlichen Schmelzefluss.

Bildergalerie

Quelle: NMWP-Magazin

Kunststofftechnik Paderborn

Die Kunststofftechnik Paderborn (KTP) steht seit nun fast 30 Jahren für eine erfolgreiche Erforschung und Entwicklung von Verarbeitungsprozessen im Bereich der Kunststoffe und Kautschuke. In unserer praktischen und theoretischen Arbeit beschäftigen...mehr...