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Hardware für neuromorphes Computing

Ähnlich dem menschlichen Gehirn sollen biologisch inspirierte Computer Datenspeicher und Rechenoperationen verknüpfen und lernfähig sein – und so nicht nur viele Aufgaben deutlich schneller lösen als aktuelle Computer, sondern auch den Energieverbrauch reduzieren [1]. Solche neuromorphen Architekturen können insbesondere in der Bildverarbeitung, im maschinellen Lernen, für neuronale Netze und viele andere aktuelle Probleme genutzt werden, in denen mögliche Lösungen zurzeit noch durch unzureichende Rechenleistung verhindert werden – wie beispielsweise bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Aufgrund dieser zahlreichen Einsatzmöglichkeiten nimmt die Forschung zu neuromorphem Computing deutlich zu, wie Abb. 1 zeigt.

Die Idee, Rechenschritte zu parallelisieren, wivrd bereits in Supercomputern genutzt, die jedoch immer noch auf konventioneller Hardware basieren. Neuromorphes – oder kognitives – Computing geht darüber hinaus. Hierbei werden, ähnlich wie im menschlichen Gehirn, künstliche Neuronen mit künstlichen Synapsen verbunden [2]. Im Gegensatz zum menschlichen Gehirn ist neuromorphe Hardware oft zweidimensional aufgebaut, was notwendigerweise zu Unterschieden zwischen dieser Architektur und der eines biologischen Gehirns führt. Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung neuromorpher Hardware ist jedoch auch in solcher Hardware, analog zum Gehirn, das Lernen – das heißt, auch künstliche Synapsen sollen sich mit der Zeit verändern können.

Die Auswahl der Hardware-Bausteine bietet viele Möglichkeiten. Insbesondere gibt es Ansätze mit analogen Bausteinen, digitalen oder gemischten Varianten [3]. Einer der am häufigsten genutzten Bausteine ist der Memristor, der eine Art Gedächtnis hat – sein elektrischer Widerstand verändert sich in Abhängigkeit von der hindurchgeflossenen Ladung und kann dabei je nach Stromrichtung größer oder kleiner werden. Dieses Bauteil weist also eine Abhängigkeit von der Vorgeschichte auf, die man zum „Lernen“ nutzen kann. Gleichzeitig benötigen Memristoren weniger Leistung als herkömmliche DRAMs, können je nach Aufbau mit aktueller Halbleitertechnologie hergestellt werden, und beim Abschalten des Stromes bleibt der Widerstand erhalten.  Solche Memristoren sind daher sehr interessant für neuromorphe Hardware und werden entsprechend intensiv untersucht [4]. Es gibt aber auch viele andere Ansätze, um künstliche Synapsen und Neuronen herzustellen, wie optische und photonische Materialien oder auch verschiedene herkömmliche elektronische Komponenten. Ein eher ungewöhnlicher Ansatz wurde von unserer Forschungsgruppe in einem Projekt (gefördert von der VolkswagenStiftung) verfolgt, das die mögliche Nutzung elektrogesponnener Nanofaservliese für neuromorphe Hardware untersuchte. Die Nanovliese wurden dazu u. a. magnetisch ausgerüstet und ihre Fähigkeiten zur Datenspeicherung und zum Datentransport mittels magnetischer Domänen erforscht [5]. Eine Simulation des Datentransports über Knotenpunkte hinweg ist in Abb. 2 zu sehen.

Ein großer Forschungsbereich ist die Nutzung sogenannter spintronischer Bauteile für neuromorphe Hardware. In solchen neuromorphen Bauteilen werden meist ebenfalls Domänenwände und ihre Bewegung genutzt, um Daten zu speichern und zu transportieren. Aber auch Spinwellen oder andere spinbasierte Bauteile sind Teil der aktuellen Forschung. Neben ferromagnetischen Materialien findet man immer häufiger auch antiferromagnetische, die mehr als zwei verschiedene Zustände aufweisen können und so wiederum die Idee des Lernens umzusetzen erlauben. Auch das Umschalten zwischen verschiedenen Zuständen ist in Antiferromagneten häufig deutlich schneller möglich als in herkömmlichen Ferromagneten. Ein weiteres interessantes Material ist Graphen, das ebenfalls einen einstellbaren Spin-Widerstand aufweist und entsprechend ein Lernen erlaubt.

Ein wichtiges Spintronic-Bauteil, das auch häufig für neuromorpher Hardware erforscht wird, ist der magnetische Tunnelkontakt. Dieses Element besteht aus zwei  Ferromagneten, die durch einen dünnen Isolator getrennt sind, durch den Elektronen zwischen den beiden Ferromagneten tunneln können. Durch ein äußeres Magnetfeld wird die Magnetisierung in den beiden ferromagnetischen Schichten ausgerichtet. Je nach Orientierung der Magnetisierung in den Ferromagneten zueinander können Elektronen leichter oder weniger leicht durch die Isolatorschicht tunneln. Diesen Unterschied kann man auslesen und so zur Datenspeicherung nutzen. Da die Orientierungen der ferromagnetischen Schichten beibehalten werden, wenn das äußere Magnetfeld abgeschaltet wird, lassen sich solche magnetischen Tunnelkontakte auch für nichtflüchtige Speicher (MRAM) nutzen. Kombinationen vieler magnetischer Tunnelkontakte können viele stabile Widerstands-Zustände aufweise und daher sowohl zum Speichern von Daten als auch zur Datenverarbeitung genutzt werden.

Wie dieser kurze Überblick zeigt, gibt es eine Vielzahl von Forschungsansätzen zur Etablierung neuromorpher Hardware. Gleichzeitig werden einige davon bereits in die industrielle Umsetzung übertragen und erlauben es so, Erfahrungen mit realen Anwendungen zu sammeln. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei neuromorpher Hardware noch immer um ein junges Forschungsfeld, das weiterhin viele technische und auch architekturrelevante Fortschritte benötigt, um beispielsweise herkömmliche und neuromorphe Hardware so zu kombinieren, dass Training und Anwendung neuronaler Netze optimiert werden [6].

Autoren: Prof. Dr. Dr. Andrea Ehrmann (Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik, Arbeitsgruppe Textile Technologien, Bielefeld, Deutschland), Prof. Dr. Tomasz Blachowicz (Silesian University of Technology, Institute of Physics – Center for Science and Education, Gliwice, Polen)

Referenzen
[1] T. Blachowicz, A. Ehrmann, Spintronics – Theory, Modelling, Devices. 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, ISBN 978-3-11-049062-6
[2] A. F. Murray, A. V. Smith, Asynchronous vlsi neural networks using pulse-stream arithmetic. IEEE J. Solid-State Circuits 23, 688-697 (1988).
[3] M. V. DeBole, B. Taba, A. Amir, F. Akopyan, A. Andreopoulos, W. P. Risk, J. Kusnitz, C. O. Otero, T. K. Nayak, R. Appuswamy, P. J. Carlson, A. S. Cassidy, P. Datta, S. K. Esser, G. J. Garreau, et al. TrueNorth: Accelerating From Zero to 64 Million Neurons in 10 Years. Computer 52(5), 20-29 (2019).
[4] D. Markovic, A. Mizrahi, D. Querlioz, J. Grollier. Physics for neuromorphic computing. Nature Review Physics 2, 499-510 (2020).
[5] T. Blachowicz, A. Ehrmann, Magnetic elements for neuromorphic computing. Molecules 25, 2550 (2020)
[6] G. S. Rose, M. S. A. Shawkat, A. Z. Foshie, J. J. Murray VI, M. M. Adnan. A system design perspective on neuromorphic computer processors. Neuromorphic Computing and Engineering 1, 022001 (2021).

Bild:
Abbildung 1: Anzahl der Treffer zu „neuromorphic computing“ im Web of Science. Abgerufen am 24.05.2022, das Jahr 2022 ist daher nur teilweise berücksichtigt (*).
Abbildung 2: Domänenwände (grün) trennen Bereiche entgegengesetzter Magnetisierung (rot, blau) und können durch veränderliche magnetische Felder oder Ströme auf unterschiedliche Weise über Knotenpunkte hinweg transportiert werden.

Bildergalerie

Quelle: NMWP-Magazin

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