DeutschEnglish

Analoges mechanisches Computing im Sensorknoten

Die zeitkontinuierliche Erfassung, Bewertung und Speicherung von Messwerten ist ein wichtiger Teil des Edge Computings. Dies kann zuverlässig mit neuartigen Hilfsenergie-freien mikromechanischen Sensorknoten realisiert werden.

Analoges mechanisches Computing – Das stammt doch aus der vor-digitalen Zeit! Keine elektrische Hilfsenergie? – Das widerspricht der allgemeinen Erfahrung mit der heute allgegenwertigen Sensorik. Entweder braucht es elektrochemische Energiespeicher wie Batterien, Akkus, drahtgebundene Energiequellen oder eine elektromagnetische Energieversorgung oder es kommen Harvester zum Einsatz, die nichtelektrische Umweltenergie wandeln, meist mit nur geringer Effizienz, bei großem technischem Aufwand. Das hier vorgestellte Konzept basiert auf einem mikromechanischen analogen Computing im Sensorknoten, bei dem die benötigte Energie aus dem Mess-signal selbst bezogen wird, ohne Wandlung in elektrische Hilfsenergie.

Im Umfeld der Industrie 4.0 ergeben sich viele neue Anwendungsfelder für Mikrosensoren. Im Rahmen der vorausschauenden Wartung können entstehende Schäden an Maschinen und Anlagen bereits frühzeitig erkannt werden, um Ausfälle zu verhindern. Meist ist es ein kleiner Fehler einer Komponente, der zum unvorhergesehenen Ausfall des Gesamtsystems führt, beispielsweise ein einzelnes Lager. Werden beginnende Schäden oder potenziell schädigende Grenzwertüberschreitungen qualitativ und quantitativ identifiziert, können Folgeschäden oft präventiv verhindert werden. Energieversorgung und Datenvolumen bilden jedoch Schwachpunkte einer kontinuierlichen Zustandsüberwachung mittels konventioneller Sensoren. Zum einen ist die Energieversorgung aufwendig, wenn Sensoren an beweglichen oder schwer zugänglichen Baugruppen montiert werden. Zum anderen fallen große Datenmengen an, aus denen kritische Ereignisse erst herausgefiltert werden müssen. Zum anderen können Messdaten nur erfasst werden, wenn elektrische Energie zur Verfügung steht. Fällt die Energieversorgung aus oder wird sie im Fehlerfall instabil, so werden gerade dann keine Daten erfasst, wenn sie besonders wichtig wären, für die Notfallbewältigung wie zur Analyse der Fehlerursache.

Oft werden autarke Konzepte als „Zero-Power-Sensoren“ vorgeschlagen, die jedoch kontinuierlich Umweltenergie wie Vibration, Licht oder Wärme voraussetzen, die in elektrische Energie umgewandelt wird und dann einen Sensorknoten mit konventionellem Mikrocontroller versorgt. In vielen Anwendungen sind Aufwand und Fragen der Nachhaltigkeit so bedeutend, dass so komplexe Systeme nicht in Frage kommen.

Viele zu überwachende Größen enthalten intrinsisch genug Energie für Messung, Verarbeitung und Speicherung, allerdings nicht in elektrischer Form: Mechanische Stöße, aber auch starke Temperaturänderungen oder äußere Felder stellen Energie bereit, um mikromechanische Sensoren zu triggern, die damit Extremwerte festhalten, Grenzwertüberschreitungen zählen oder Integrale erfassen. Elektrische Energie ist nicht erforderlich, weil die Datenerfassung und Speicherung mit mechanischen Bauelementen und das Computing analog-mechanisch erfolgt. Auf Basis einer einfachen Si-MEMS-Plattform werden mikromechanische Komponenten für analoges Computing vernetzt. Das Signal einer Messgröße wird in Form einer Kraft oder einer Verschiebung – und damit äquivalent zu Strom bzw. Spannung in der elektrischen Domäne – genutzt. Kleine Signale können über mikromechanische Hebel bis zu 200-fach verstärkt werden [1], entsprechend einer Impedanzanpassung. Die Speicherung wird mittels Rastmechanismen realisiert und der Messwert digital codiert (A/D-Wandler), um es letztendlich elektronisch störsicher auslesen zu können. Dies kann drahtlos mittels RFID erfolgen, aber auch drahtgebunden über eine Bus-Schnittstelle.

Ein erster Sensordemonstrator wurde so ausgelegt, dass die in einem beliebig langen Zeitraum maximal erreichte Beschleunigung im Bereich bis 9 g mit 6 Bit aufgelöst abgespeichert wird [2]. Der Messwert steht digitalisiert [3] für ein Auslesen z. B. mittels RFID bereit. Durch die Kombination des mechanischen A/D-Wandlers mit einem speichernden Rastmechanismus, einer mechanischen Impedanz-Anpassung über Mikrohebel mit primären Eingangswandlern, die sich von klassischen Mikrosensoren kaum unterscheiden, ist eine Klasse von Sensoren realisierbar, die langfristig und zeitanalog Ereignisse zuverlässig erfassen kann. Die Selektion der relevanten Daten erfolgt auf der mechanischen Ebene und kann von außen praktisch nicht manipuliert werden, da das „Programm“ in einer sehr einfachen Mikromechanik festgelegt ist. Die Auslegung der Einzelkomponenten erlaubt eine sehr flexible Anpassung an das primär zu erfassende Signal: Hebel erlauben eine Impedanzanpassung, nichtlineare Hebel können Störgrößen kompensieren, und nicht-lineare Übertragungsfunktionen werden durch inverse Kodierung im A/D-Wandler berücksichtigt. Bei Bedarf können die Speicher über integrierte Mikroaktoren auch rückgesetzt werden. Damit steht erstmals ein analoges mikromechanisches Edge-Computing in vernetzten Sensorsystemen zur Verfügung, das wichtige Parameter kontinuierlich extrahiert. Ursprünglich durch die Transport-Überwachung motiviert, bei der die Information retrospektiv abgerufen wird, kann das Konzept im Sensorknoten eine komplexe Daten-Selektion mit einem Mikroprozessor ersetzen. Sensoren mit analogem mikromechanischen Computing sind somit eine wichtige Ergänzung der konventionellen Sensorik. Auch in der elektronischen Domäne erlebt das analoge Computing ja gerade eine Renaissance, so etwa bei der Künstlichen Intelligenz.

Die Arbeiten werden vom BMBF im Rahmen des ForMikro-Projekts UpFUSE [16ES1063] gefördert.

Autoren:
Martin Hoffmann, Philip Schmitt
Lehrstuhl für Mikrosystemtechnik, RUB

Referenzen:
[1] Schmitt, P. und M. Hoffmann, Engineering a Compliant Mechanical Amplifier for MEMS Sensor Applications. Journal of Microelectromechanical Systems, 2020. 29(2): S. 214-227
[2] Schmitt, P. und M. Hoffmann, A passive acceleration sensor with mechanical 6 bit memory and mechanical analog-to-digital converter. Micro and Nano Engineering, 2022: S. 100142
[3] Schmitt, P. und M. Hoffmann. Direct Binary Encoding of Displacements on the Nano-Scale. in 2020 IEEE 33rd International Conference on Micro Electro Mechanical Systems (MEMS). 2020. IEEE. S. 677-680

Bilder:
Abbildung 1: Passiver mikromechanischer Beschleunigungssensor: Die Erfassung und Speicherung des Maximalwertes einer Beschleunigung erfolgt rein mechanisch. Der Speicher wird über einen mechanischen A/D Wandler und z.B. über eine RFID Schnittstelle ausgelesen. (© RUB)
Abbildung 2: Kennlinie der Beschleunigung: Die Beschleunigungsamplitude wird als Rastzustand k am mechanischen Speicher (rechts) hinterlegt. Insgesamt kann der mech. Speicher eine Amplitude mit 64 Schritten (6 Bit) auflösen. (© RUB)

Bildergalerie

Quelle: NMWP-Magazin

Ruhr-Universität Bochum

Mitten in der dynamischen Metropolregion Ruhrgebiet im Herzen Europas gelegen ist die RUB mit ihren 20 Fakultäten Heimat von über 43.000 Studierenden aus über 130 Ländern.Ihren Erfolg in der Forschung verdankt die RUB der engen Verknüpfung der...mehr...