Computerhardware aus Nordrhein-Westfalen als wichtiger Wegbereiter in vielen Forschungs- und Industriezweigen
NMWP.NRW im
Gespräch mit Professorin Dr. Astrid Lambrecht, Vorstandsvorsitzende am
Forschungszentrum Jülich, über die Zukunft des Computings und den hohen
Stellenwert von Fachkräften und Kooperationen für unsere Zukunft.
Frau Professor Lambrecht, das Forschungszentrum Jülich ist eine feste Größe in vielen Forschungsbereichen mit international hohem Ansehen. Bezogen auf das Feld „Future of Computing“ – mit welchen technologischen Schwerpunkten wird am FZJ geforscht?
Das Forschungszentrum Jülich ist spezialisiert auf die Bereiche Supercomputing, Quantencomputing, Neuromorphes Computing sowie KI und Deep Learning. Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft des Computing eine geschickte, anpassbare Kombination aus verschie-denen Computing-Technologien erfordert, die auf bestimmte Anwendungsbereiche spezialisiert sind. So können sie sowohl einzeln als auch in Kombination miteinander ihr volles Potenzial entfalten. Wir haben in Jülich eine modulare Architektur errichtet, die ein enormes Potenzial für interdisziplinäre Forschungsprojekte und Anwendungen für Wissenschaft und Industrie bietet. Dabei arbeiten Materialwissenschaftler, Mathematikerinnen, Physiker, Softwarespezialistinnen aber auch Neurologen Hand in Hand. Im Bereich des High Performance Computing steht das Jülich Supercomputing Centre (JSC) weltweit an der Spitze der Forschung.
Bei der Entwicklung eines neuen Computing-Ansatzes – wie ist hier die Entwicklungskette zu sehen?
Unser Ziel ist es, neue Systeme oder Teile davon bis kurz vor der Ausgründung zu entwickeln. Das heißt, wir wollen einen Übergang von der Forschung in die Anwendung ermöglichen. Hierfür erforschen wir zum einen grundlegende physikalische und quantenmechanische Effekte und überführen die Erkenntnisse in mögliche Computing-Anwendungen. Zum anderen forschen wir auch angewandt im Bereich Materialien und Schaltkreis-Design, um Chips für Neuromorphe und Quantencomputer herzustellen. Am Ende der Wertschöpfungskette steht ein integriertes System, für das wir Algorithmen und Software entwickeln. Dieses System steht den Anwendern, zum Beispiel modular auf unseren Supercomputern, zur Verfügung.
Welche Rolle spielt die Materialforschung bei der Entwicklung von Komponenten für Next Generation Computing-Plattformen, insbesondere im Hinblick auf fortschrittliche Halbleitermaterialien?
Eine entscheidende. Auch hier schlagen wir die Brücke von der Grundlagenforschung hin zum Transfer in angewandte Systeme. Mit Simulationen ergründen wir beispielsweise neue Materialsysteme und -kombinationen und ermitteln vielversprechende Kandidaten für die gewünschten Anwendungen. Unser Ziel sind Materialien, die funktionell, aber auch kostengünstig und ressourcenschonend in der Herstellung sind. Wir können in der Helmholtz Nano Facility auf unserem Campus selbst Materialien synthetisieren und diese mit verschiedenen Verfahren wie hochauflösender Elektronenmikroskopie oder Neutronenstrahlung analysieren. Beispiele für neue Materialien „made in Jülich“ sind etwa topologische Materialien, die die Basis für besonders fehlerresistente Qubits, also die Recheneinheiten von Quantencomputern, sein könnten. Wir untersuchen aber auch spezielle Quantenzustände in Halbleitern, die zukünftig für die Speicherung von Daten genutzt werden könnten und forschen an Alternativen zu Silizium-basierten Halbleitern.
Welche Vorteile bieten die neuen Formen der Informationsverarbeitung?
Es geht darum, für die immer komplexeren Anwendungen und Problemstellungen, die Computer lösen sollen, optimal passende Systeme zur Verfügung zu haben, die besonders effizient, energiesparend und nachhaltig arbeiten. Durch die Entwicklung von Neuromorphen und Quantencomputern erschließen wir neuartige Anwendungsfelder, die außerhalb des Potenzials von klassischen Computern liegen. Diese neuen Computing-Systeme sollen bestimmte Fragestellungen schneller, präziser und energieeffizienter lösen.
Wie kann die Integration von Neuromorphem Computing die Effizienz und Leistung von künstlicher Intelligenz verbessern?
Neuromorphe Computer haben das menschliche Gehirn als Vorbild. Das Gehirn ist in der Lage, komplexe Fragestellungen zu lösen, die klassische Computer vor große Herausforderungen stellen – und dabei arbeitet es sehr energieeffizient. Das liegt daran, dass unser Gehirn an der gleichen Stelle rechnet und speichert. Bei herkömmlichen Rechnern findet ein ständiger Datentransfer zwischen Prozessor und Speicher statt, der viel Energie verbraucht und die Berechnungen verlangsamt. In neuromorphen Chips mit künstlichen Synapsen sind Rechenprozesse und Informationsspeicher ebenfalls am gleichen Ort, so dass das Rechnen um ein Vielfaches energieeffizienter wird. Das Training großer Modelle für die Künstliche Intelligenz verbraucht heute so viel Strom wie eine kleine Stadt. Wenn wir zukünftig stärker auf das Potenzial Künstlicher Intelligenz setzen, muss der Energieverbrauch deutlich kleiner werden. Und um das zu ermöglichen, entwickeln wir Hardware und Software, basierend auf dem Funktionsprinzip des Gehirns. So wird die Energieeffizienz der Supercomputer verbessert.
Auch im Bereich des Quantencomputing gab es in NRW aber auch international in den letzten Jahren große Fortschritte. Wo liegt der Vorteil von Quantencomputern im Vergleich zu Supercomputern mit klassischer, binärer Architektur?
Stark vereinfacht ausgedrückt bieten Quantencomputer die Möglichkeit, sehr schnell und effizient aus einer großen Anzahl von möglichen Lösungen eines Problems die optimale herauszufinden – dank der speziellen Eigenschaften ihrer Qubits. Quantencomputer können Multi-Tasking: Während klassische, binäre Computer lediglich zwischen zwei Zuständen wechseln können, der berühmten 0 oder 1, können Qubits beide Zustände und alle Zwischenzustände gleichzeitig annehmen. Ein Beispiel: Den besten Wirkstoff für ein Medikament unter Tausenden von Möglichkeiten sucht ein klassischer Supercomputer, indem er nacheinander alle ausprobiert. Ein Quantencomputer würde alle gleichzeitig testen. Das ist der so genannte Quantenvorteil, den Quantencomputer gegenüber klassischen Computern haben, weil sie den komplexen Regeln der Quantenphysik gehorchen. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Stand jetzt sind wir noch weit davon entfernt, diesen Rechenvorteil von Quantencomputern gegenüber binären Computern nutzen zu können. In Jülich arbeiten wir jedoch daran, weitere Quantensysteme zu entwickeln, die nur in bestimmten Bereichen diesen Quantenvorteil bieten. Quantenannealer beispielsweise können Optimierungsprobleme effizient lösen und so Verkehrsflüsse oder Produktionsabläufe verbessern. Ein weiteres Beispiel sind Quantensimulatoren, die Eigenschaften und Wechselwirkungen einer großen Anzahl von Teilchen untersuchen. Mögliche Anwendungen sind die Entwicklung neuer Batterien oder Arzneiwirkstoffe.
Welche Möglichkeiten gibt es, bestehende und neue Computing-Konzepte zu kombinieren, um synergistische Effekte zu erzielen?
In Jülich sind wir der Ansicht, dass nicht ein einziger Ansatz oder ein einziges System in allen Bereichen den heutigen Computern überlegen sein wird. Wir werden zukünftig vor allem auf Systeme setzen, die die Vorteile unterschiedlicher Ansätze verbinden. Wir haben die modulare Supercomputing Architektur entwickelt um klassische Höchstleistungsrechner, Quantencomputer, neuromorphe Systeme und weitere Ansätze, wie Cryocomputing, in einem modularen System miteinander verknüpfen zu können. Bei der Lösung eines komplexen Problems können so verschiedenen Module für Teillaufgaben aufgerufen werden, die sie besonders gut lösen können. Wenn die verschiedenen Module weit genug entwickelt sind, werden sie am Jülich Supercomputing Centre zentralisiert Nutzenden aus Forschung und Industrie zur Verfügung gestellt. Deep Learning könnte von der Kombination aus Quanten- und Neuromorphen Computern mit klassischen Computern profitieren. Die Analyse großer Datensätze könnte durch die Kombination von schnellen Datenspeichern, Quantencomputern und speziellen Modulen für Datenanalyse auf Basis von klassischen Computern beschleunigt werden.
Computer stehen immer auch für Simulation. Neue Konzepte erlauben uns, immer komplexere Simulationen auszuführen. In welchen Forschungsfeldern nutzt das FZJ selbst die neuen Technologien?
Das Jülich Supercomputing Centre betreibt und entwickelt Superrechner der höchsten Leistungsklasse. Die Supercomputer JUWELS und JURECA gehören zu den aktuell leistungsstärksten Superrechnern in Europa. Sie werden beispielsweise in der Forschung für die Weiterentwicklung von Medikamenten genutzt, indem Reaktionen beim Aufeinandertreffen von potenziellen Wirkstoffen auf ein Protein simuliert werden. JUWELS ist zudem einer der leistungsfähigsten KI-Rechner Deutschlands auf dem große Basismodelle wie OpenGPT-X und TrustLLM trainiert werden. Mit dem ersten Europäischen Exascale-Rechner JUPITER, welcher derzeit in Jülich aufgebaut wird, werden wir einen der leistungsstärksten KI-Rechner weltweit betreiben. JUPITER wird die Möglichkeiten zum Training großer KI-Modelle erheblich vergrößern und damit auch die Grenzen wissenschaftlicher Simulationen maßgeblich erweitern. Zukünftig wird JUPITER zur Entwicklung von besseren Klima- und Wettermodellen genutzt werden, um z.B. deren Vorhersagegenauigkeit zu erhöhen oder den Einfluss von Klimagasen und Kohlenstoff auf das Klima besser zu bewerten. Wir wollen diese Technologie auch nutzen, um Materialeigenschaften zu ergründen und neue Materialien zu entwickeln, die zum Beispiel die Effizienz von Solarzellen steigern oder Batterien leistungsfähiger und langlebiger machen. Auch Molekulardynamik-Simulationen zur Wirkstoffentwicklung werden deutlich durch den Einsatz von Jupiter beschleunigt und verbessert werden. Quantencomputer können uns dabei unterstützen, Energieversorgungssysteme zu gestalten und diese für neue Anforderungen, zum Beispiel durch die verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien, auszulegen. Mit Neuromorphen Computern wollen wir den Energieverbrauch von aktuellen Höchstleistungsrechnern senken, indem wir uns der Funktionsweise des Gehirns annähern.
Stichwort Technologietransfer: Um die Zukunft eines Unternehmens zu sichern, kann es erforderlich sein, sich mit diesen innovativen und für viele Menschen sehr abstrakten wie komplexen Themen zu befassen. Gibt es Möglichkeiten für Unternehmen, aber auch für Forschungseinrichtungen, auf die am Forschungszentrum Jülich vorhandene Infrastruktur und die Expertise zuzugreifen? Wie kann eine solche Kooperation aussehen?
Wir sind hervorragend mit Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen vernetzt – in Nordrhein-Westfalen, national und international. Und wir haben starke Kooperationspartner in der Helmholtz Gemeinschaft. Unser Ziel muss es sein, eine starke deutsche und europäische Community aufzubauen. Moderne Supercomputer sind unerlässliche Instrumente der heutigen Forschung, insbesondere für KI, Simulationen und Datenanalyse. Wir ermöglichen externen Anwendern den Zugang zu den von uns entwickelten Computing-Systemen. Hierzu haben wir zwei dedizierte Programme aufgesetzt, die sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch Nutzende aus Unternehmen vom Anfang ihrer Projekte bis zu deren erfolgreich Abschluss begleiten.
Mit JUNIQ, der JUelicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputing, stellen wir die erste europäische Infrastruktur für Quantencomputing zur Verfügung. JUNIQ unterstützt Nutzerinnen und Nutzer bei der Entwicklung von Algorithmen und ihren individuellen Anwendungen fürs Quantencomputing. Hier möchte ich auf eine besondere Kooperation im Bereich des Quantencomputings verweisen, die exemplarisch für unsere Kooperationen steht: Zusammen mit dem Siegener Start-up eleQtron entwickeln wir einen Quantencomputer auf Ionenfallenbasis mit dem Ziel, diesen Quantencomputer in die modularen Computing-Systeme unseres Supercomputing Centre einzubinden und externen Nutzenden über JUNIQ zugänglich zu machen. Diese einzigartige Kooperation zeigt die leistungsfähig des Technologie-standorts Nordrhein-Westfalen und wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW gefördert.
Der zukünftige Exascale Rechner JUPITER wird nach seiner Installation wissenschaftlichen Anwenderinnen und Anwendern zunächst im Rahmen des JUPITER Research and Early Access Program (JUREAP) zugänglich gemacht, bevor er in den allgemeinen Nutzerbetrieb übergeht. Auch hier streben wir an, Unternehmen insbesondere auch aus NRW die Möglichkeiten zum Training und der Nutzung von KI-Basismodellen zur Verfügung zu stellen.
Welche Auswirkungen hat die Entwicklung von Next Generation Computing auf die Ausbildung und Qualifikation von Fachkräften in der IT-Branche?
Für das Next Generation Computing brauchen wir eine Generation von gut ausgebildeten und spezialisierten Fachkräften. Dies betrifft die Erforschung und Entwicklung neuer Computing-Konzepte ebenso wie die Integration der Bauteile und Programmierung der neuartigen Computing-Systeme. Es werden Fachkräfte in Ausbildungsberufen, Informatik- und IT-Spezialistinnen, aber auch Physikerinnen, Softwareingenieure und Elektrotechnikerinnen benötigt. Am Forschungszentrum Jülich bieten wir mit dem Dualen Studiengang zur/zum mathematisch-technischen Softwareentwickler:in eine Fachausbildung an, in der wir auch die Programmierung von Quanten- oder Neuromorphen Computern immer weiter integrieren werden. Wichtig ist aber auch die Befähigung der Gesellschaft zu einem bewussten Umgang mit neuen Computingtechnologien zum Beispiel im Bereich künstlicher Intelligenz, um deren Chancen bestmöglich nutzen zu können.
Frau Professor Lambrecht, vielen Dank für das Gespräch.