Bloß kleine Wellen schlagen
Eine ultrakurzwellige Spinwelle (rot) läuft durch eine Nickel-Eisen-Schicht. Etwa in der Mitte der Schicht schwingt die magnetische Richtung (blaue Pfeile) in einer Art Knoten lediglich auf und ab, während die Bewegung in den anderen Teilen kreisförmig – mit unterschiedlichem magnetischen Drehsinn – bleibt. Quelle: HZDR / Juniks
Die Spintronik gilt als vielversprechendes Konzept für die
Elektronik der Zukunft. Sie könnte schnellere Computer und sparsamere
Smartphones möglich machen. Einem Forscherteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS)
und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) ist es nun
gelungen, sogenannte Spinwellen deutlich einfacher und effektiver zu
erzeugen als bislang bekannt. Die Forscher stellen ihre Resultate in der
aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical Review Letters (DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.117202) vor.
Heutige Computerchips basieren darauf, dass elektrische Ladungen
transportiert werden: Bei jedem Schaltprozess fließt in einem
elektronischen Bauteil ein Strom von Elektronen, die dabei einen
Widerstand verspüren und unerwünschte Abwärme erzeugen. Und je kleiner
die Strukturen auf einem Chip sind, umso schwieriger wird es, diese
Wärme abzuführen. Die ladungsbasierte Architektur ist auch zum Teil der
Grund, warum die Taktraten der Prozessoren seit Jahren nicht mehr
signifikant steigen. Die Zeiten, in denen die Chips mit schöner
Regelmäßigkeit schneller und leistungsfähiger werden, neigen sich dem
Ende zu. „Die bestehenden Konzepte stoßen allmählich an ihre Grenzen“,
erklärt Dr. Sebastian Wintz vom Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am HZDR. „Deshalb arbeiten wir an einer neuen Strategie, den Spinwellen.“
Bei diesem Ansatz werden keine Ladungen mehr transportiert, sondern
lediglich der Spin, der „Eigendrall“ von Elektronen in einem
magnetischen Material. Die Elektronen bleiben dabei an ihren Plätzen,
lediglich die Ausrichtung der Spins verändert sich. Da sich die Spins
benachbarter Elektronen gegenseitig spüren, kann sich eine Änderung auf
die Nachbarn übertragen. Das Resultat ist ein magnetisches Signal, das als Welle durchs Material läuft – eine Spinwelle.
Der Vorteil: Bauteile, die mit Spinwellen arbeiten, würden kaum Abwärme
erzeugen und könnten deshalb deutlich weniger Energie verbrauchen –
interessant unter anderem für mobile Endgeräte wie Smartphones. Auch
eine weitere Miniaturisierung der Bauteile ist für bestimmte Anwendungen
denkbar, weil Spinwellen erheblich kürzere Wellenlängen besitzen als
vergleichbare elektromagnetische Signale zum Beispiel im Mobilfunk. Dann
würden noch mehr Schaltkreise auf einen Chip passen als heute.
Per Magnetwirbel zur Spinwelle
Zuvor ist allerdings noch einiges an Grundlagenforschung nötig. Wie
zum Beispiel lassen sich Spinwellen möglichst effizient erzeugen? Seit
längerem versuchen das die Fachleute, indem sie mikrometerkleine
Metallstreifen auf dünne Magnetschichten aufbringen. Fließt ein
Wechselstrom durch diesen Streifen, erzeugt er ein Magnetfeld, das auf
engsten Raum begrenzt ist. Dieses Feld ruft dann in der Magnetschicht
eine Spinwelle hervor. Die Methode hat jedoch einen Nachteil: Die
Wellenlänge der erzeugten Spinwellen kann nur schwer kleiner werden als
die Breite des Metallstreifens – ungünstig für die Entwicklung von
hochintegrierten Bauteilen mit nanometerfeinen Strukturen.
Doch es gibt eine Alternative: Hat das magnetische Material die Form einer Kreisscheibe, entstehen Magnetwirbel, deren zentraler Kern nur etwa zehn Nanometer misst. Dieser Wirbelkern lässt sich durch ein Magnetfeld in Schwingung versetzen, wodurch in der Schicht eine Spinwelle entsteht. „Vor einiger Zeit konnten wir das mit relativ komplexen, aus mehreren Lagen bestehenden Materialien realisieren“, berichtet Wintz. „Jetzt ist es uns gelungen, Spinwellen über Wirbelkerne in einem sehr einfachen Material auszusenden.“ Hierbei wird eine etwa 100 Nanometer feine Schicht aus einer Nickel-Eisen-Legierung genutzt – ein Material, das einfach herzustellen ist.
Unerwartet kurze Längen
Bemerkenswert war dabei die Wellenlänge der erzeugten Spinwellen –
sie betrug gerade mal 80 Nanometer. „Für die Fachwelt war neu und
überraschend, dass das mit einem solch simplen Material möglich ist“,
erzählt Dr. Georg Dieterle, der das Phänomen in seiner Doktorarbeit am
MPI-IS untersucht hat. „Auch wir hatten nicht damit gerechnet, dass man
damit bei Frequenzen im unteren Gigahertzbereich so kurze Wellen
erzeugen kann.“ Den Grund für diese Kurzwelligkeit sehen die Fachleute
in der Form der Ausbreitung. So hat die Spinwelle etwa in der Mitte der
Nickel-Eisen-Schicht eine Art „Knoten“, in dem sich die magnetische
Richtung lediglich auf und ab bewegt und nicht wie sonst üblich im Kreis
schwingt.
Sichtbar machen konnte das Team die Phänomene mit einem speziellen Röntgenmikroskop am Elektronenspeicherring BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin. „Nirgendwo sonst auf der Welt stehen die nötigen Orts- und Zeitauflösungen in dieser Kombination zu Verfügung“, betont Prof. Gisela Schütz, Direktorin am MPI-IS. „Ohne dieses Mikroskop hätte man diese Effekte nie beobachtet.“ Nun hoffen die Fachleute, dass das Ergebnis bei der weiteren Entwicklung der Spintronik hilft. „Unsere Wirbelkerne könnten zum Beispiel als lokale, gut kontrollierbare Quelle dienen, um die grundlegenden Phänomene zu erforschen und neue Konzepte mit Spinwellen-basierten Bauelementen zu entwickeln“, gibt Dieterle einen Ausblick. „Die von uns beobachteten Spinwellen könnten zukünftig für hochintegrierte Schaltungen interessant sein.“