Brexit-Unsicherheit drückt die Stimmung der europäischen Mikrotechnik-Branche
Die Mikrotechnik-Branche in Europa erwartet vom Brexit so gut wie keine
positiven Impulse für die Industrie und für das eigene Geschäft.
Industrievertreter schätzen die wirtschaftlichen Folgen überwiegend
negativ ein. Die Ergebnisse einer Branchenbefragung des IVAM Fachverband
für Mikrotechnik kurz vor dem Austrittsdatum spiegeln vor allem die
Unsicherheit darüber wieder, wie es mit den Wirtschaftsbeziehungen
zwischen Großbritannien und der Europäischen Union nach dem Brexit
weitergehen wird.
Ausblick hat sich seit dem Referendum verschlechtert
Der Branchenverband IVAM hat im Zuge seiner Wirtschaftsdatenerhebung die
Erwartungen an die Folgen des Brexit abgefragt, wie schon einmal im
Jahr 2016, vor dem Referendum, mit dem der Brexit beschlossen wurde. Im
Jahr 2019, kurz vor dem ursprünglich vereinbarten Austrittstermin, ist
die Industrie deutlich pessimistischer. Der Ausblick, vor allem für
Großbritannien, hat sich im Vergleich zu 2016 ausnahmslos
verschlechtert, weil die Bedingungen für den Austritt immer noch nicht
verhandelt sind.
Mehrheit befürchtet negative Auswirkungen auf das Geschäft
Obwohl sich der Brexit in der übrigen EU den Erwartungen zufolge
vergleichsweise gering bemerkbar machen soll, befürchten trotzdem rund
60% der befragten Vertreter der Mikrotechnikbranche negative
Auswirkungen auf das eigene Geschäft. 2016 waren es nur 36%. Diese
Befürchtungen schlagen sich allerdings nicht spürbar in den
Wachstumserwartungen der Unternehmen nieder, die mit derselben Umfrage
ermittelt wurden. In Großbritannien erwartet derzeit niemand mehr einen
positiven Effekt auf das eigene Geschäft – 2016 hatten noch einige
Befragte positive Erwartungen.
Untersuchungen des World Monetory Fund zufolge werden technische
Branchen wie die chemische Industrie und die Automobilindustrie mit am
stärksten betroffen sein, da höchstwahrscheinlich die Handelshemmnisse
zunehmen und die Betriebe in die europäische Produktions- und
Lieferkette integriert sind, die durch den Brexit unterbrochen werden
könnte. Hiervon sind auch die Mikrotechnik-Unternehmen als
Zulieferbetriebe betroffen.
Unsicherheit bremst britische Industrie: Investitionen liegen auf Eis
Die Unsicherheit treibt vor allem die britische Industrie um. Solange
die Rahmenbedingungen für die Handelbeziehungen nicht feststehen, werden
Entscheidungen und Investitionen aufgeschoben. Selbst wenn es bald zu
einer Einigung zwischen Großbritannien und der EU kommen sollte, wäre
ein Schaden für das Geschäft nicht mehr abzuwenden, so der Kommentar
eines Befragungsteilenehmers in Großbritannien.
Die Investitionen in Großbritannien sind Wirtschaftsberichten zufolge
seit dem Referendum bereits nachweislich zurückgegangen. Auch in der
Mikrotechnik-Branche haben sich die Erwartungen bezüglich Investitionen
gegenüber 2016 verschlechtert: Damals meinte knapp die Hälfte der
Befragten, der Brexit werde sich negativ auf Investitionen in
Großbritannien auswirken, heute erwarten dies über 80%.
Handel unter erschwerten Bedingungen: bürokratischer Aufwand wächst in ganz Europa
Die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU werden nach
dem Brexit mit hoher Wahrscheinlichkeit stärker reglementiert sein. Die
Unabhängigkeit Großbritanniens dürfte Unternehmen auf beiden Seiten, in
Großbritannien und im übrigen Europa, mehr Bürokratie aufbürden. Während
2016 noch überwiegend Auswirkungen für Großbritannien vorausgesagt
wurden, gehen die Befragten heute davon aus, dass auch die Industrie in
den in der EU verbleibenden Ländern mehr Bürokratie wird in Kauf nehmen
müssen.
Auch die britischen Industrievertreter gehen heute mit großer Mehrheit
von einem höheren bürokratischen Aufwand für die britische Industrie
aus. 2016 waren die Erwartungen ausgewogen. Inzwischen scheint klarer
geworden zu sein, dass Großbritannien losgelöst von der EU nicht so
autonom agieren kann, wie es Brexit-Befürworter propagieren – vor allem
im Fall eines ungeregelten Brexit.
Hoffnung auf vorteilhafte Handelsabkommen schwindet
Angesichts der verfahrenen Verhandlungslage ist die Hoffnung auf einen
Deal, mit dem Großbritannien sich Vorteile der EU-Mitgliedschaft
erhalten könnte, gesunken. Die Aussicht auf ein Handelsabkommen zwischen
Großbritannien und der EU wurde schon 2016 von über der Hälfte der
Branchenvertreter als gering beurteilt, heute beurteilen fast
Dreiviertel der Befragten die Chancen als schlecht.
Optimistischer – aber dennoch pessimistischer als vor drei Jahren – ist
die Branche in Bezug auf Abkommen zwischen Großbritannien und
außereuropäischen Ländern. Die Chancen auf vorteilhafte Handelsabkommen
außerhalb Europas wurden 2016 von knapp 14% als gering eingeschätzt,
heute sind es gut 30%.
Der europäische Binnenmarkt ist zurzeit noch der stärkste Handelspartner
Großbritanniens, gefolgt von den USA und China. Die internationalen
Handelsbeziehungen wird Großbritannien zweifellos an vielen Grenzen neu
verhandeln oder ausbauen müssen.