Anregungen magnetischer Valenzbindungen
Die Darstellung der im Experiment mit YbMgGaO4 beobachteten Prozesse zeigt, wie magnetische Momente auf den Knotenpunkten von Dreiecken Paarzustände (Valenzbindungen) – durch blaue Ovale dargestellt – bilden. Das einfallende Neutron (roter Pfeil) kann zwei unterschiedliche Prozesse bewirken: Bei hinreichend hohem Energieübertrag kann es eine Valenzbindung aufbrechen (rechts unten). Ungepaarte Spins sind hier jeweils durch rote Doppelpfeile gekennzeichnet. Bei kleinem Energieübertrag (links unten) wird ein Paar aufgebrochen und gleichzeitig ein zweites gebildet. Effektiv führt dies zur Bewegung des ungepaarten Spins in Richtung des gelben Pfeils. Wie durch „+…“ symbolisiert, bezeichnen die drei Bilder jeweils nur eine mögliche Spinanordnung. Im RVB-Modell liegt jedoch eine quantenmechanische Überlagerung aller Möglichkeiten vor. © Universität Augsburg/EP VI/EKM
Das Streben magnetischer Momente, sich gegenseitig auszurichten, führt in Magneten zu stabiler magnetischer Ordnung. Wenige Magneten widersetzen sich jedoch diesem Trend. Selbst beim Abkühlen zum Temperaturnullpunkt ordnen sich ihre Momente nicht starr, sondern bilden einen flüssigkeitsartigen Quantenzustand. In Physical Review Letters charakterisieren und erklären Augsburger EKM-Physiker, die bei ihren Experimenten von Forscherinnen und Forschern des Heinz Maier Leibnitz-Zentrums in Garching unterstützt wurden, dies mit einer ständigen Neuausrichtung magnetischer Paarzustände, analog zu chemischen Resonanzbindungen.
Wie harte Nüsse, lassen sich Magneten nur schwer brechen – ihre Bausteine, die magnetischen Momente, werden von Elektronen getragen, welche aufgrund ihrer quantenmechanischen Natur komplex verschränkte Vielteilchenzustände bilden. Während dies normalerweise zu einer festen (gefrorenen) Anordnung der Momente führt, bildet die Quantenspinflüssigkeit eine hochinteressante exotische Ausnahme. Analog zu normalen Flüssigkeiten weisen Quantenspinflüssigkeiten zwar eine feste Ausrichtung der Momente auf. Aber während normale Flüssigkeiten bei hinreichend tiefer Temperatur einfrieren, können die Momente in Quantenspinflüssigkeiten diesen ungeordneten Zustand selbst bis zum absoluten Nullpunkt beibehalten. Dies wurde bereits 1973 vom späteren Nobelpreisträger P. W. Anderson vorhergesagt. Als Erklärung schlug er eine quantenmechanische Überlagerung magnetischer Paarzustände vor, die er als Resonanz-Valenzbindung, abgekürzt RVB, bezeichnete.
Zusammenhang mit Magnetismus
In der Chemie treten Valenzbindungen typischerweise zwischen zwei
benachbarten Atomen auf. Sie beinhalten Elektronenpaare, deren
Aufenthaltswahrscheinlichkeit zwischen den Atomen zu einer Bindung
führt. Das sogenannte Pauli Prinzip besagt, dass in einem Atom niemals zwei Elektronen im selben Zustand sein dürfen.
Die Spins der beiden das Paar bildenden Elektronen müssen also
antiparallel sein. An dieser Stelle tritt der Zusammenhang mit dem
Magnetismus zu Tage. Andersons Idee war, dass Quantenspinflüssigkeiten
ebenfalls aus Elektronenpaaren gebildet werden. Zwar hat dieses
RVB-Konzept Andersons weitreichende Konsequenzen in der Erforschung des
Magnetismus und v. a. der Hoch-Tc Supraleitung. Jedoch konnte bislang kein Nachweis für solche magnetischen Valenzbindungen erbracht werden.
Das geeignete Material
Praktisch alle bekannten magnetischen Materialien zeigen ein
Einfrieren ihrer magnetischen Momente bei tiefen Temperaturen. „Die
große Herausforderung war, ein geeignetes Material für den Nachweis
magnetischer Valenzverbindungen zu finden“, so Dr. Yuesheng Li,
Postdoktorand bei Prof. Dr. Philipp Gegenwart am Lehrstuhl
Experimentalphysik VI am Zentrum für Elektronische Korrelationen und
Magnetismus (EKM) der Universität Augsburg. „Gleich mehrere Bedingungen
müssen erfüllt werden: perfekte Dreiecksanordnung der magnetischen
Momente, elektrisch robust isolierendes Verhalten, und vor allem muss
die Zucht großer Einkristalle für die Neutronenstreuung möglich sein“.
Die von Li ausgewählte Verbindung YbMgGaO4 zeichnet sich
nicht nur dadurch aus, dass Sie diese Bedingungen erfüllt, sondern
darüber hinaus auch durch eine gewisse strukturelle Unordnung im
Vergleich mit anderen Materialien. „Unordnung ist oft nachteilig, da sie
ein Einfrieren von Momenten begünstigt. Für das von uns untersuchte
YbMgGaO4 zeigen sorgfältige magnetische Messungen jedoch, dass dies nicht der Fall ist“, so Gegenwart.
Neutronen bringen neue Anregungen zu Tage
Quantenmagnete können nur indirekt untersucht werden. Hierzu wird der
Zustand leicht angeregt. Die zu beobachtenden Anregungen können als
„Fingerabdruck“ des zugrundeliegenden Materialzustandes analysiert
werden. Besonders gut eigenen sich Neutronen für die Anregung von
Quantenmagneten, da ihre Energie und ihr Impuls ideal gesteuert und
angepasst werden können. Die Neutronen-Experimente mit YbMgGaO4
wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs TRR 80 (Augsburg/München)
von Li mit Unterstützung dortiger Experten am PANDA Spektrometer im
Heinz Maier Leibnitz-Zentrum in Garching durchgeführt. „Übrigens“, merkt
Li an, „passt die Abkürzung PANDA bestens, denn dieses Spektrometer
verwendet besonders langsame Neutronen und die Messreihen dauern sehr
lange. Das PANDA Spektrometer ist eines der weltweit besten für diese
Anwendungen.“
Aufbrechen und Umordnen
Lis Team konnte zwei unterschiedliche Prozesse bestätigen, die sich
aus Andersons Theorie ergeben: Der erste Prozess ist ein Aufbrechen von
Valenzbindungen, das zu zwei ungepaarten Spins führt, wenn der
Energieübertrag des einfallenden Neutrons die Paar-Bindungsenergie
übersteigt. Ein ähnlicher Effekt ist auch bei chemischen Bindungen
bekannt, die durch Laser-Einstrahlung mit hinreichend hoher Energie
aufgebrochen werden können, wobei dieses Aufbrechen dann chemische
Reaktionen begünstigt. Bei zu niedriger Energie kann die chemische
Bindung jedoch nicht aufgebrochen werden. Im Gegensatz hierzu sind in
Andersons RVB-Modell auch bei niedrigen Energien Anregungsprozesse
möglich. Diese führen zu einem Umordnen der Valenzbindungen, also zum
Aufbrechen eines Paars bei gleichzeitiger Bildung eines anderen Paars.
Dieser Prozess ist besonders interessant, da er mit fraktionalen, also
gebrochenzahligen Spinanregungen einhergeht, die für
Quantenspinflüssigkeiten vorhergesagt wurden. „Da in konventionellen
Magneten solche fraktionalen Anregungen unmöglich sind, ist deren
Entdeckung in YbMgGaO3 ein wichtiger Durchbruch“, so
Gegenwart über die von Li gewonnenen Erkenntnisse. Jetzt gelte es zu
klären, ob die beobachteten Anregungen allgemeingültig für magnetische
Dreiecksgittermaterialien sind oder ob sie durch die spezielle
strukturelle Unordnung in YbMgGaO4 ermöglicht werden.