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Hochdruck schafft neue Nachbarn für Beryllium: Bayreuther Forscher entdecken ungewöhnliche Kristallstrukturen

Hurlbutit-Kristalle (Mitte) in der Diamantstempelzelle, die für die Hochdruckexperimente eingesetzt wurde. Die Kristalle sind jeweils rund 0,01 Millimeter groß. Bild: DESY, Anna Pakhomova.

Das seltene Element Beryllium ist vor allem als Bestandteil von Smaragden, Aquamarinen und anderen Edelsteinen bekannt. Ein internationales Team mit Wissenschaftlern der Universität Bayreuth berichtet jetzt in „Nature Communications“ über eine sehr ungewöhnliche Entdeckung: Unter einem Druck, der 880.000mal so hoch ist wie der Druck der Erdatmosphäre, umgeben sich Beryllium-Atome in einem Phosphat-Kristall mit sechs Nachbaratomen statt üblicherweise mit vier. Vor fünf Jahrzehnten wurde diese Kristallstruktur theoretisch vorhergesagt, doch erst bei Hochdruckexperimenten am Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) in Hamburg konnte sie nun beobachtet werden.

An den Forschungsarbeiten waren seitens der Universität Bayreuth Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky und Dr. Maxim Bykov vom Bayerischen Geoinstitut beteiligt, und ebenso Georgios Aprilis und Dr. Anna Pakhomova aus der Arbeitsgruppe für Materialphysik und Technologie bei extremen Bedingungen im Labor für Kristallographie. Ursprünglich galt es in der Chemie als prinzipiell ausgeschlossen, dass Beryllium-Atome in Kristallen mehr als vier Nachbaratome haben können. Dies schien mit den Gesetzen des Periodensystems über lange Zeit unvereinbar zu sein. „Vor rund 50 Jahren entdeckten Theoretiker dann, dass höhere Koordinationen tatsächlich möglich sein könnten, aber diese haben sich hartnäckig der experimentellen Bestätigung in anorganischen Verbindungen entzogen“, berichtet die Bayreuther Habilitandin und DESY-Mitarbeiterin Dr. Anna Pakhomova.

Hochdruckexperimente an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III haben erstmals den empirischen Nachweis ermöglicht. Die Forscherinnen und Forscher haben dafür Proben des Phosphat-Kristalls Hurlbutit untersucht, eines seltenen Minerals, das aus Kalzium, Beryllium, Phosphor und Sauerstoff besteht (CaBe2P2O8) und an der Erdoberfläche vorkommt. Darin hat jedes Berylliumatom unter normalen Umgebungsbedingungen vier Sauerstoffatome als Nachbarn. Bei einem 700.000fachen Atmosphärendruck ändert sich die Kristallstruktur jedoch so grundlegend, dass Beryllium-Atome einen fünften Nachbarn bekommen. Ein 880.000facher Atmosphärendruck erzeugt erneute Strukturänderungen, die ihnen einen sechsten Nachbarn verschaffen. „Für die neuen Kristalle gibt es derzeit zwar keine technologischen Anwendungsmöglichkeiten, aber sie erweitern den Horizont der Materialwissenschaft. Sie zeigen uns, dass sich aus den Normalbedingungen auf der Erdoberfläche keine unumstößlichen chemischen Gewissheiten ableiten lassen. Extreme Bedingungen und seltene Phänomene, die wir nur mit Hochtechnologien im Labor erzeugen und beobachten können, sind vielerorts im Universum ein Normalfall“, sagt Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky. An den Forschungsarbeiten waren neben der Universität Bayreuth und dem Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) auch das Institut für Geowissenschaften in St. Petersburg, das Materialmodellierungs- und -entwicklungslabor in Moskau sowie die Universität Linköping beteiligt.