Intelligente Umformprozesse
Foto (Fraunhofer IEM): Arbeiten an einem intelligenten Drückwalzprozess: V. l. Julian Rozo Vasquez (WPT, Technische Universität Dortmund), Bahman Arian (LUF, Universität Paderborn) und Markus Riepold (Fraunhofer IEM) vor dem Umform-Prüfstand der Universität Paderborn.
Die Universität Paderborn, die Technische Universität Dortmund und das Fraunhofer Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM arbeiten seit Februar in einem neuen Forschungsprojekt daran, durch Umformprozesse nicht nur die äußere Form von Stahl zu verändern, sondern auch gezielt die Eigenschaften anzupassen. Dieses Verfahren ermöglicht künftig eine effizientere, ressourcenschonende Herstellung optimierter, fälschungssicherer Stahlbauteile. Das Projekt „Eigenschaftsbasierte Regelung von Verfestigungs- und Phasenumwandlungsprozessen beim Drücken und Drückwalzen metastabiler Austenite“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit circa 450.000 Euro für zunächst zwei Jahre gefördert und gehört zum Schwerpunktprogramm „Eigenschaftsgeregelte Umformprozesse“ der DFG. Sie fördert hier insgesamt 11 Forschungsverbünde, mit dem Ziel, die wissenschaftlichen Grundlagen der prozessintegrierten Eigenschaftsregelung von Umformprozessen zu erforschen und neue Ansätze der Eigenschaftsregelung zu erproben und zu validieren.
Ob Haushalt, Infrastruktur oder Industrie: Stahl ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Moderne Stahlwerkstoffe ermöglichen erst in Verbindung mit fortschrittlichen Fertigungstechnologien die Herstellung von vielen Hochleistungsprodukten. Ein typisches Beispiel ist der Einsatz des Drückwalzens für die Herstellung von Bauteilen aus Edelstählen für Zentrifugen- oder Strahltriebwerke. Kommt hier ein spezieller Stahl, ein sogenannter metastabiler austenitischer Stahl, zum Einsatz, lässt sich nicht nur gezielt die äußere Form, sondern auch die Eigenschaft des Metalls durch Phasenumwandlung beeinflussen.
Die Wissenschaftler der Universität Paderborn, der Technischen Universität Dortmund und des Fraunhofer IEM arbeiten an einem intelligenten Drückwalzprozess, mit dem Hersteller gezielt die Eigenschaften ihrer künftigen Bauteile sehr fein ortsaufgelöst einstellen und dadurch wertvolle Zusatzfunktionen integrieren können. Dies kann z. B. für die Überwachung von Bauteilzuständen und Prozessen oder einer eindeutigen und manipulationssicheren Kennzeichnung von Bauteilen genutzt werden.
Vorteile für den Herstellungsprozess
• Ressourcenschonend: Umformprozesse fertigen Teile ohne den Abtrag
wertvollen Materials, wie dies z. B. beim Fräsen geschieht. Weiterhin
ermöglicht es der intelligente oder geregelte Drückwalzprozess, sehr
definiert und reproduzierbar auf physikalische beziehungsweise
mechanische Eigenschaften wie z. B. die Festigkeit oder Härte des Stahls
Einfluss zu nehmen. Neben einer deutlichen Verbesserung der
Funktionalität können Hersteller Material einsparen bzw. gezielter
einsetzen.
• Kostengünstig: Eine vergleichbare Funktionalität ist bisher – wenn überhaupt – durch aufwendige und teure Nacharbeit beziehungsweise den Einsatz zusätzlicher Bauteile möglich. Die Fertigung innerhalb eines Regelkreises ermöglicht es auch, die Bauteilqualität zu verbessern und Ausschuss zu reduzieren.
Vorteile für das fertige Stahlbauteil
• Intelligente, fälschungssichere Stahlbauteile: Das intelligente
Drückwalzen erschließt spezielle physikalische Eigenschaften der
metastabilen austenitischen Stähle für eine Vielzahl von Anwendungen. So
kann beispielsweise ein magnetischer Barcode in das Stahlbauteil
integriert werden. Dieser äußerlich unsichtbare, eindeutig
identifizierbare Code ermöglicht es, fälschungssichere Produkte
herzustellen.
Die Forschungspartner
Für das Vorhaben bündeln die Partner verschiedene Kompetenzen. Der
Lehrstuhl für Umformende und Spanende Fertigungstechnik (LUF) der
Universität Paderborn besitzt umfangreiche Erfahrungen im Hinblick auf
die erfolgreiche Auslegung von Drückverfahren. Diese nutzt er für die
Erarbeitung der verfahrensspezifischen Grundlagen, die rechnerische
Beschreibung und die umformtechnische Bewertung des intelligenten
Drückwalzens.
Das Fachgebiet Werkstoffprüftechnik (WPT) der Technischen Universität Dortmund bringt Expertise im Bereich der Charakterisierung der Mikrostrukturen und verformungsinduzierten Phasenumwandlungen sowie der Eigenschaften von Werkstoffen und Bauteilen unter betriebsrelevanten Beanspruchungen im Sinne von Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit auf der Basis eines Prozess-Struktur-Eigenschaft-Schädigung-Verständnisses ein.
Der Forschungsbereich „Scientific Automation“ des Fraunhofer IEM aus Paderborn liefert Knowhow aus der Regelungstechnik und Industrieautomatisierung. Seine Aufgabe ist es auch, als Bindeglied zwischen Prozess- und Mess-/Werkstofftechnik zu arbeiten und den späteren intelligenten Drückwalzprozess zu modellieren, Sensorik und Aktorik einzubinden und auf einer Industriesteuerung zu realisieren.
Zum LUF der Universität Paderborn
Der Lehrstuhl für Umformende und Spanende Fertigungstechnik (LUF)
arbeitet intensiv an einer Weiterentwicklung der Produktionstechnik und
hier insbesondere der Umformtechnik. Dabei konzentrieren sich die
Forschungstätigkeiten auf die Untersuchung und Auslegung von Prozessen,
Werkzeugen und Maschinen zur flexiblen und effizienten Fertigung von
Bauteilen aus Blechen und Profilen.
Zum WPT der Technischen Universität Dortmund
Das Fachgebiet Werkstoffprüftechnik (WPT) liefert mit modernen Mess-
und Prüfverfahren sowie optimierten Analyse- und Auswertetechniken die
Datenbasis für die Konstruktion und Fertigung sowie für die virtuelle
Entwicklung betriebssicherer Hochleistungsprodukte für
unterschiedlichste wirtschaftliche Branchen. Neben der
beanspruchungsgerechten Qualifizierung der Werkstoffe und Optimierung
industrieller Fertigungsprozesse gewinnen Maßnahmen des Structural
Health Monitorings zur kontinuierlichen Überwachung der strukturellen
Integrität hochbeanspruchter Bauteilsysteme genauso an Bedeutung wie
Berechnungsansätze zur möglichst präzisen Bestimmung der
Leistungsfähigkeit und (Rest-) Lebensdauer.
Zum Fraunhofer IEM
Das Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM bietet am
Standort Paderborn Expertise für intelligente Mechatronik im Kontext
Industrie 4.0. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den
Bereichen Maschinenbau, Softwaretechnik und Elektrotechnik arbeiten
fachübergreifend zusammen und erforschen innovative Methoden und
Werkzeuge für die Entwicklung von intelligenten Produkten,
Produktionssystemen und Dienstleistungen.
Weitere Informationen zum DFG-Schwerpunktprogramm „Eigenschaftsgeregelte Umformprozesse“: www.spp2183.de
Weitere Informationen zum LUF der Universität Paderborn: https://mb.uni-paderborn.de/luf
Weitere Informationen zum WPT der Technischen Universität Dortmund: www.wpt-info.de
Weitere Informationen zum Fraunhofer IEM: www.iem.fraunhofer.de