Auf dem Weg zum Gipfel

© Peter Winandy

Klassische Super-Computer stoßen mit ihrer Rechenleistung an ihre Grenzen. Im Rennen um den ersten für praktische Anwendungen geeigneten Quantencomputer erleben RWTH-Forschende im Exzellenzcluster ML4Q wichtige Fortschritte. Das Ziel ist groß, der Weg aber lang, wie Professor Hendrik Bluhm erläutert. Bluhm ist der Sprecher der RWTH im Cluster. ML4Q steht für Matter and Light for Quantum Computing. Es ist eines von bundesweit 57 Clustern, die mit jährlich 385 Millionen Euro gefördert werden. In der zweiten Förderphase von 2026 an steigt die jährliche Fördersumme für bis zu 70 Cluster auf insgesamt 539 Millionen Euro. Dafür wurde ein Folgeantrag gestellt. Im ML4Q arbeiten die Universitäten Aachen, Bonn, Köln und das Forschungszentrum Jülich zusammen. Wo sie stehen, berichtet Bluhm im Interview.

Der Quantencomputer wird gerne als Revolution für die Datenverarbeitung tituliert. Wo stehen wir denn auf dem Weg zum Einsatz solcher Quantencomputer?

Ich vergleiche den Weg zum Einsatz verlässlicher Quantencomputer immer gerne mit einem Bergmarathon. Wir wollen einen Gipfel erreichen, der für uns allerdings noch im Nebel liegt, und es gibt viele Wege dorthin. Verschiedene Läufer nehmen an diesem Wettrennen teil und gehen unterschiedliche Wege. Manche haben einige leichtere Hürden direkt zu Beginn des Weges genommen, manche haben sich an schwierige erste Wände herangewagt, die sie erklimmen wollen. Die spannende Frage ist: Was liegt noch vor allen Teilnehmenden, und wann zahlen sich die Investitionen aus? Insgesamt gilt aber für alle: Wir sind noch auf den ersten Kilometern dieses Bergmarathons. Vielleicht finden wir auf dem Weg erste kleine Silberminen, aber das große Ziel, der Gipfel im Nebel, der ist noch ziemlich weit weg.

Woran liegt das?

Es gibt verschiedene Ansätze zum Quantencomputing: Zum einen das sogenannte Noisy Intermediate-Scale Quantum-Computing, das beispielsweise IBM und viele Start-ups verfolgen. Von diesen konnten wir schon viel in den Medien lesen, was den Hype um Quantencomputing wiederum antreibt. Es zeigt sich aber immer mehr, dass es sehr schwierig ist, mit diesem technologischen Ansatz eine praktische Anwendung zu erschließen. Das liegt daran, dass die verwendeten Qubits noch zu ungenau sind, um eine hinreichende Rechenleistung zu realisieren. Hier muss die Qubit-Qualität noch um mehrere Größenordnungen verbessert werden.

Was ist die Alternative? Sie sprachen von verschiedenen Ansätzen…

Die Alternative ist Fehlerkorrektur. Hier muss ich auftretende Fehler direkt korrigieren. Dafür brauche ich aber um drei, vier Größenordnungen mehr Qubits, als sie uns heute zur Verfügung stehen. Deswegen sind wir bei unserem Bergmarathon eben noch auf den ersten paar Kilometern.

Welchen Weg gehen Sie?

Wir setzen innerhalb meiner Arbeitsgruppe auf Halbleiterqubits. Dabei ist unsere Motivation, dass wir auf einer Technologie aufbauen können, die über Jahrzehnte optimiert wurde. Wenn wir Millionen von Qubits brauchen, dann ist Halbleitertechnologie die einzige Technologie, die wir auf der Erde haben, die viele Milliarden funktionaler Einheiten, also Transistoren oder Speicherelemente, für ein paar Tausend Euro pro Chip herstellen kann. Unsere Idee ist es, dies für Quantencomputing zu nutzen. Grundlegend funktioniert das auch, die Qubits sind von ihren grundlegenden Qualitätsmetriken her genauso gut wie andere Qubits. Wir befinden uns aber noch auf dem Labormaßstab. Wenn wir aber erstmal wissen, wie wir kleine Quantenschaltkreise zuverlässig bauen, dann ist es relativ leicht, die Produktion hochzuskalieren – weil die Industrie das schon kann. Wir haben dafür entsprechende Kooperationen.

Sie denken also den Transfer direkt mit?

Genau, das ist essenziell. Wir haben eine sehr intensive Kooperation mit Infineon als einem der größten deutschen Halbleiterhersteller, nehmen die grundlegenden Ideen aus dem Exzellenzcluster und können diese in BMBF- oder EU-finanzierten komplementären Projekten auf industrielle Technologien übertragen. Zwar stellen unsere Doktoranden einerseits auch noch unsere eigenen Chips in der Helmholtz Nano Facility in Jülich im kleinen Labor-Maßstab her. Andererseits werden bei Infineon in Dresden nun auch industrielle Produktionsanlagen genutzt.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen?

Eine Problematik bei den Halbleiterqubits ist, dass sie mit den etablierten Methoden nur über sehr kurze Distanzen – 100 Nanometer – aneinandergekoppelt werden können. Wir versuchen also einen Computer ohne Kabel zu bauen. Dazu haben wir uns eine Lösung überlegt, das sogenannte Shuttling. Dabei werden einzelne Elektronen, die ein Qubit codieren, über den Chip bewegt. Und dies mit überschaubarem Ansteuerungsaufwand. Das haben wir in der Community zwar mittlerweile federführend etabliert, wir haben aber noch offene Fragestellungen, zum Beispiel wie gut wir die Zustände von Qubits erhalten können. Das Shuttling haben wir dabei auch zum Patent gebracht als eines von mittlerweile rund 20 Patenten, die aus unserer Arbeit hervorgegangen sind.

Was passiert mit diesen Patenten?

Die wurden zu einem großen Teil an ein Spin-off, die ARQUE Systems GmbH, an der RWTH und Forschungszentrum Jülich beteiligt sind, lizensiert, die diese industriell verwertet. Diese Ausgründung hat andere Möglichkeiten zur Finanzierung, als sie der akademische Bereich bietet. Angestrebtes, ambitioniertes Ziel ist es, zu einem Systemintegrator zu werden, der sich Konzepte überlegt, Chips beispielsweise von Infineon bezieht und diese in die entsprechende Peripherie einbaut. Im Idealfall findet dies im Rahmen des Strukturwandels in einem großen Rechenzentrum neben dem Hyperscale Data Center Campus von Microsoft in Bedburg-Bergheim statt und zeigt, wie eine deutsche Technologie sehr gut auf dem Weltmarkt positioniert werden kann und gleichzeitig zu lokalen Wertschöpfungskette beiträgt. Wir können auch Hochtechnologie! Es gibt keine Erfolgsgarantie, aber wenn wir es nicht versuchen, dann können wir es auch nicht schaffen.

Was kann dann der Quantencomputer, was ein Supercomputer nicht kann – die gibt es ja auch noch…?

Ein Quantencomputer wird gerne als Antwort auf die Explosion des Rechenbedarfs gehandelt. Ganz so einfach ist es leider nicht. Es gibt ganz bestimmte Probleme, bei denen wir erwarten, dass ein Quantencomputer bessere Leistungen bringt als ein Supercomputer und qualitative Unterschiede macht. Der Quantencomputer wird die Welt aber nicht revolutionieren, er könnte sie letztlich um ein paar Prozent effizienter machen.

Welche Probleme meinen Sie denn?

Wir reden über besonders komplexe Probleme und Rechnungen. Die am besten beforschten Fragestellungen sind hierbei die Primfaktorzerlegung, also das Thema Datenentschlüsselung. Dabei ist durchaus eine kontraproduktive Nutzung denkbar, aber es kann nicht falsch sein, wenn Deutschland als einer der weltweit demokratischsten Staaten hier federführend ist. Das zweite Thema von wirtschaftlichem Interesse ist die Simulation von Quantensystemen, beispielsweise von Katalysatoren für die Verfahrenstechnik. Wir denken hier an Düngemittelherstellung, Batterieentwicklung, Arzneimittel. All dies basiert auf dem Verständnis von quantenmechanischen Eigenschaften von Molekülen, und dies geht mit klassischen Simulationen nicht gut. Ein Quantencomputer sollte dies deutlich besser können. Meist wissen wir um die Möglichkeiten aber erst, wenn wir Systeme haben, mit denen wir arbeiten können. Es bleibt spannend!

Warum ist ML4Q prädestiniert, um dieses Thema zu erforschen?

Im Fokus von ML4Q stehen die Grundlagen des Quantencomputers. Wir wollen verstehen, was wir können und was nicht und dabei neue Ansätze für bestimmte Lösungen finden – wie das Shuttling. Wir erforschen auch supraleitende Qubits, versuchen fundamentale Grenzen zu verstehen, arbeiten an neuen Algorithmen und haben viele neue Ideen. Gerade die langfristigen Fragenstellungen, die grundlegend revolutionieren können, sind für die Industrie noch zu weit weg und zu risikoreich. Hier ist ML4Q ideal, und wir ergänzen unsere Arbeit mit anwendungsorientierten Projekten in unserem jeweiligen Umfeld mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie auch einer Industrie und bringen unsere Kompetenzen zusammen, um eine praktisch nutzbare Entwicklung zu forcieren.

Welche Vision treibt Sie an? Wie weit auf dem anfangs beschriebenen Berg wollen Sie kommen im Rahmen von ML4Q?

Wenn wir bei diesem Bild bleiben, dann wollen wir durch den Nebel hindurchblicken können. Wir werden die Spitze nicht erreichen, das kann die akademische Forschung nicht allein, dafür brauchen wir Großtechnologie. Da können wir mit unseren Partnern bestimmt signifikante Fortschritte machen. Aber wir bei ML4Q können das Verständnis verbessern, Hindernisse aus dem Weg räumen, auch verstehen, was nicht funktioniert und auf diese Weise den Nebel durchdringen.

RWTH Aachen University

Die RWTH Aachen University bedient sich der starken Forschungsnetzwerke und der intellektuellen Neugier ihrer Mitarbeitenden, um Wissen zu anspruchsvollen wissenschaftlichen Fragestellungen zu generieren, führendes Wissen zu transferieren und...mehr...