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Sauer macht nicht immer lustig – neutral abbauende Materialien für die Medizin

Bei der Degradation bestimmter Implantatmaterialien werden saure Abbauprodukte freigesetzt. Im Projekt „pHMed“ sollen klinische Komplikationen durch die Inkorporation von puffernden Additiven in diese Materialien verhindert werden.

Biodegradierbare Materialien werden für vielseitige Anwendung in der Medizin eingesetzt. Typische Anwendungen sind Nahtmaterial, Medikamenten freisetzende Systeme und Systeme für den Knochenersatz (z.B. Knochenschrauben, -platten). Durch den Einsatz im Körper (in vivo) degradierender Materialien entfällt die Notwendigkeit einer Zweitoperation zur Entfernung der Implantate. Außerdem werden Langzeit-Fremdkörperreaktionen vermieden. Ein weiterer Vorteil degradierbarer Implantate gegenüber Edelstahl- und Titanimplantaten ist die graduelle Reduktion der Unterstützungsfunktion und somit der schrittweisen Übertragung der Belastung auf das heilende Gewebe. Auf diese Weise wird einer Überlastung des Gewebes nach der Implantatentfernung vorgebeugt. Besonders häufig verwendete Biomaterialien für die genannten Anwendungen sind Polymere aus der Gruppe der Polyhydroxycarbonsäuren, zu welchen die Polymere Polylactid (PLA) und Polyglykolsäure (PGA) zählen.

Problematisch bei der Degradation des PLA durch den Kontakt mit Wasser (hydrolytische Kettenspaltung) ist die Freisetzung saurer Degradationsprodukte. Durch die Abgabe dieser an die Umgebung des Implantates kann eine lokale Übersäuerung (Azidose) resultieren, welche Entzündungen oder gar das Absterben von Gewebszellen zur Folge haben kann. Dabei wird das Ausmaß der Gewebeschädigung vorwiegend durch die Menge der freigesetzten sauren Abbauprodukte beeinflusst.

In dem Projekt „pHMed“ soll eine PLA-Materialkombination entwickelt werden, deren In-Vivo-Abbau pH-Wert neutral (und damit nicht sauer) erfolgt. Lösungsansatz ist die Inkorporation besonderer Mikrogele, die am DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien (DWI), entwickelt wurden. Die kolloidalen Polymernetzwerke weisen eine hohe Pufferkapazität auf und können die sauren Abbauprodukte abfangen. Dadurch wird die Übersäuerung, bzw. eine Gewebeschädigung, verhindert. Dabei sind Mikrogele in der Pufferung effizienter als konventionelle Additive (z.B. Calciumphosphat, Calciumhydoxid, Calciumcarbonat), wodurch geringere Mengen für eine effektive Pufferung ausreichend sind. Darüber hinaus sind Mikrogele für den Einsatz in medizinischen Produkten auf Grund guter Biokompatibilität geeignet.

In vorangegangen Studien am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (ITA) und dem DWI wurde die erfolgreiche Pufferung von PLA-Filamenten mittels Inkorporation von Mikrogelen bereits gezeigt. Allerdings weisen die resultierenden PLA-Filamente mit inkorporierten Mikrogelen eine hohe Schwankung der Faserfestigkeit auf und der Faserherstellungsprozess ist instabil. Diese Instabilitäten werden vermutlich durch die unkontrollierte, zufällige räumliche Verteilung der Mikrogele in dem Filament verursacht. Der aktuelle Forschungsansatz besteht darin PLA-Filamente mit einer geometrisch definierten Anordnung der Mikrogele in der Faser herzustellen. Dafür wird am ITA zusammen mit der Fourné Maschinenbau GmbH ein neuartiges Bikomponenten-Spinnverfahren entwickelt (Abbildung 1). Mithilfe des Verfahrens soll eine Bikomponentenfaser hergestellt werden, welche die Kombination einer festigkeitsgebenenden und einer puffernden Komponente zulässt. Eine mögliche Bikomponenten-Geometrie ist die Kern-Mantel-Struktur. Im Rahmen der Untersuchungen werden verschiedene Spinnverfahren und Prozessparameter (z.B. Anteil der Mikrogele in den Filamenten) variiert. Zur Identifikation und Optimierung der Prozessparameter werden die resultierenden Fasern auf morphologische und mechanische Eigenschaften getestet. Das Degradationsverhalten der Filamente wird in Abbauversuchen untersucht. Im Anschluss soll die textile Weiterverarbeitbarkeit der Bikomponentenfasern durch die Herstellung geflochtener Strukturen (z.B. Nahtmaterial, Scaffolds) demonstriert werden.

Neben der Herstellung von Filamenten auf makroskopischer Größe werden im Rahmen des Projektes „pHMed“ Herstellungsprozesse für PLA-Strukturen anderer Größenordnungen entwickelt (Abbildung 2). So werden am DWI mit Hilfe eines Bikomponenten-Elektrospinnprozesses Vliese aus weniger als einem Mikrometer großen Fasern für beispielsweise Haut- und Knorpelersatz hergestellt. Die räumlich definierte Einbringung von Mikrogelen in 3D-gedruckten PLA-Strukturen durch Rapid-Prototyping wird von der EnvisionTec GmbH erforscht. Durch diesen flexiblen Prozess ist die Herstellung komplexer dreidimensionaler Strukturen im Makrometerbereich möglich, die z. B. bei der Herstellung von Knochenstabilisierungsmaterial bei Brüchen eingesetzt werden können. Darüber hinaus wird am DWI die Synthese der Mikrogele weiter optimiert. Wichtiger Teilaspekt ist hierbei die Skalierung des Syntheseprozesses, sodass die Mikrogele in großtechnisch verarbeitbaren Mengen hergestellt werden können.

Das Projekt „pHMed“ (EFRE-0800639) wird durch den Europäischen Fond für regionale Entwicklung Nordrhein-Westfalen (EFRE.NRW) gefördert.

Autoren: Georg-Philipp Paar (Wissenschaftlicher Mitarbeiter) und Andreas Blaeser (Bereichsleiter Medical Textiles & Biofabrication), beide: RWTH Aachen, NRW-Schwerpunktprofessur Biohybrid & Medical Textiles (BioTex), Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University

Abbildung 1: Anlage zum Spinnen von Bikomponentenfasern.

Abbildung 2: Im Rahmen des Projektes „pHMed“ werden Prozesse für PLA-Strukturen unterschiedlicher Größenordnung entwickelt.

Bildergalerie

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University

Das Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University ist mit dem Lehrstuhl für Textiltechnik im Maschinenbau verbunden und wird von Professor Thomas Gries geleitet. Das ITA gehört zum Fachbereich Maschinenbau der RWTH und vertritt die...mehr...