Eine echte Alternative zum Erdöl
Monomereinheit des Poly-3S-caranamid. Bild: P. Stockmann / TUM
Ein Forschungsteam der Fraunhofer-Gesellschaft und der Technischen Universität München (TUM) unter Leitung des Chemikers Volker Sieber hat eine neue Polyamid-Familie entwickelt, die sich aus einem Nebenprodukt der Zelluloseproduktion herstellen lässt – ein gelungenes Beispiel für nachhaltigere Wirtschaftsweise mit biobasierten Materialien.
Polyamide sind wichtige Kunststoffe, sie finden sich in Skibindungen genauso wie in Autos oder Kleidungsstücken. Kommerziell werden sie bislang meist auf Erdölbasis hergestellt; es gibt nur wenige „grüne“ Alternativen, etwa aus Rizinusöl basierende Polyamide. Biobasierte Verbindungen sind in der Herstellung oft deutlich teurer und können sich daher auf dem Markt bislang nur dann gegenüber Erdölprodukten durchsetzen, wenn sie besondere Eigenschaften haben. Ein Team unter Leitung von Volker Sieber, Professor für Chemie biogener Rohstoffe an der TU München, hat nun eine völlig neue Polyamid-Familie entwickelt, die sich aus einem Nebenprodukt der Zelluloseproduktion herstellen lässt. Neue Polyamid-Familie
Der biogene Ausgangsstoff, (+)-3-Caren, ist aus zwei aneinander hängenden Ringen aufgebaut. Die Chemiker der TUM und des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Straubing modifizierten nun den einen Ring so, dass er sich unter Aneinanderreihung vieler Moleküle, also unter Bildung von Polymeren, öffnen lässt. Der zweite Ring bleibt dabei jeweils erhalten. So entsteht anstelle einer linearen Polymerkette wie bei gewöhnlichen Polyamiden eine Kette, die viele kleine Ringe und weitere Seitengruppen trägt. Dies verleiht dem Polymer völlig neue Funktionen.
Spezielle Eigenschaften
Die
neuen Polyamide überzeugen durch spezielle Eigenschaften, die sie für
viele Anwendungen attraktiv machen. Sie werden beispielsweise erst bei
höheren Temperaturen weich als die konkurrierenden Erdölprodukte. Zudem
lassen sich die neuen Verbindungen sowohl transparent als auch
teilkristallin herstellen, was bei gleichem Ausgangsstoff ihre späteren
Einsatzmöglichkeiten vergrößert.
„Wir können leicht über
Reaktionsbedingungen und Katalysatoren während der Synthese steuern, ob
wir am Ende ein transparentes oder teilkristallines Polyamid erhalten“,
erklärt Sieber. „Die Grundlage dafür bietet aber vor allem die
spezifische Struktur der biobasierten Ausgangsstoffe, die aus fossilen
Rohstoffen so nur sehr aufwändig zu erhalten wäre.“
Gewinn an Nachhaltigkeit
Aus
industrieller Sicht überzeugend ist, dass die Synthese quasi in einem
„Topf“, also einem Reaktionsbehälter passiert. Dieses
„one-pot“-Verfahren ermögliche es nicht nur, die Kosten erheblich zu
reduzieren, sondern bedeute auch einen deutlichen Gewinn an
Nachhaltigkeit, so Sieber.
Der biogene Ausgangsstoff (+)-3-Caren
lässt sich nämlich aus bei der Zelluloseindustrie als Nebenprodukt
anfallendem Terpentinöl mit verhältnismäßig geringem Aufwand in hoher
Reinheit herausdestillieren.
Bislang wurde das Terpentinöl in den
Zellulosefabriken nur verheizt. „Wir verwenden es als wertvollen
Ausgangsstoff für Kunststoffe“, sagt Sieber. „Das ist eine enorme
Wertsteigerung.“
Keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion
Sieber
weist darauf hin, dass man beim Terpentinöl nicht, wie etwa bei der
Verwendung von Rizinusöl, in Flächenkonkurrenz zur
Nahrungsmittelproduktion stehe. Noch sind die Forscher mit der
erreichten Gesamtausbeute des Prozesses nicht ganz zufrieden, sie liegt
bei 25 Massenprozent.
„Dank der einfachen Skalierbarkeit ist das
Potenzial für einen effizienten Prozess sehr hoch“, sagt Paul Stockmann,
auf dessen Doktorarbeit an der TUM die Ergebnisse beruhen. Am
Fraunhofer-IGB arbeitet der Chemiker nun daran, (+)-3-Caran-basierte
Polyamide als Alternative für erdölbasierte Hochleistungspolyamide am
Markt zu etablieren.