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Gesunder, intelligenter Leichtbau dank SHM

Structural Health Monitoring (SHM) setzt die Evolution des Leichtbaus fort. Die permanente Überwachung der Struktur generiert dabei auch die Daten, die der digitale Zwilling benötigt. Doch lässt sich diese Aufgabe nicht im Alleingang bewältigen.

Der Leichtbau hat durch die Entwicklungen in der Materialforschung und der Computertechnologie enorme Fortschritte gemacht. Doch noch sind nicht alle Potenziale gehoben, denn trotz modernster Simulationsmethoden besteht immer noch eine signifikante Abweichung zwischen dem berechneten und dem realen Verhalten eines Bauteils. Deutlich wird diese Abweichung vor allem bei der Lebensdauerabschätzung. Die Ursache hierfür liegt im Unwissen über die wirklich vorliegenden Zustände. Dies betrifft zum einen die Werkstoffeigenschaften, die trotz einer qualitätsgesicherten Fertigung streuen. Zum anderen sind die Lasten, mit denen die Auslegung vorgenommen wird, nur als Modell beschrieben. Beide Faktoren zusammen machen es schwierig, den Zeitpunkt einer Schadensinitiierung und den anschließenden Schadensfortschritt innerhalb eines Bauteils vorherzusagen. Dieser Unsicherheit um den wirklichen Zustand wird mit konservativen Sicherheitskonzepten Rechnung getragen – was zu deutlich mehr Gewicht der Struktur führt.

Die Bauteilzustandsüberwachung (Structural Health Monitoring, SHM) bietet einen Ausweg aus diesem Dilemma. SHM beschreibt die automatisierte Überwachung der strukturellen Integrität eines Bauteils im Betrieb und in Echtzeit mittels integrierter oder applizierter Sensorik (siehe Abbildung 1). Es geht somit weit über das zerstörungsfreie Prüfen (Non-Destructive Testing, NDT) hinaus. Ein einfaches SHM-System detektiert zuverlässig und robust Schädigungen im laufenden Betrieb. Komplexere SHM-Systeme sind sogar in der Lage, auch die Einstufung und Bewertung der Schädigung in Echtzeit durchzuführen. Ein SHM ist somit in der Lage, den wirklichen Zustand der Struktur im Betrieb zu erfassen und das erlangte Wissen für zukünftige Auslegungen des Bauteils zur Verfügung zu stellen. Die Unsicherheiten sinken und die Strukturen können leichter ausgelegt werden. SHM stellt somit den nächsten Schritt in der Evolution des Leichtbaus dar.

Aber die Möglichkeiten, die ein SHM eröffnet, gehen noch viel weiter. Eine Struktur, die mit einem SHM-System ausgestattet ist, wird intelligent. Sie kann Schädigungen nicht nur erkennen, sondern auch bei einer entsprechenden Umsetzung automatisch bewerten. Diese intelligente Struktur kann somit eigenständig entscheiden, ob ein sicherer Betrieb gewährleistet ist und so den Betreiber rechtzeitig über Veränderungen des Zustands informieren. Dies gibt dem Betreiber Zeit, notwendige Reparaturen frühzeitig zu planen und bedarfsgerecht durchzuführen. Wie sich dies auf die Sicherheit und die Wartungskosten auswirkt, zeigt Abbildung 2. Ohne SHM sinkt zwischen den einzelnen Inspektionen die Sicherheit einer Struktur. Die erforderliche regelmäßige Wartung hebt das Sicherheitsniveau wieder auf ursprüngliches Niveau. Die Kosten eines solchen Wartungskonzepts sind zwar initial gering, da zu Beginn lediglich die Ausrüstung für das NDT angeschafft werden muss. Die Personalkosten und die durch den Stillstand während der Inspektionen verursachten Ausfallkosten treten jedoch immer wieder auf und kumulieren sich über die Lebensdauer mit zunehmendem Maße. Durch die Verwendung eines SHM wird hingegen eine durchgehend hohe Sicherheit gewährleistet und die anfänglichen höheren Entwicklungskosten amortisieren sich über die Zeit durch den Wegfall der regelmäßigen Inspektionen.

Neue Geschäftsmodelle auf der Basis digitaler Zwillinge stehen derzeit überall im Fokus. Das Füttern dieses Zwillings mit Daten der realen Struktur kann ebenfalls durch ein SHM-System erfolgen. Je nach Konzept der Sensorintegration oder Applikation können zusätzlich zu den Strukturdaten aus dem Betrieb sogar Fertigungsdaten geliefert werden. Diese Daten stellen den entscheidenden Baustein für die Entwicklung zukünftiger digitaler Zwillinge dar. Denn um ein vollständiges digitales Abbild einer realen Struktur zu erzeugen, reicht es nicht, die äußeren Betriebsparameter einer Struktur zu kennen. Auch der aktuelle Schädigungszustand muss bekannt sein. Das Vorhandensein kleiner, eigentlich unkritischer Schädigungen beeinflusst (ebenso wie die Alterung des Materials) das Tragverhalten einer Struktur maßgeblich. Steifigkeiten ändern sich und damit auch die Lastver-teilungen. Ein funktionierendes SHM stellt somit einen essenziellen Baustein für einen zuverlässigen digitalen Zwilling dar.

Die Potenziale eines SHM sind bekannt, dennoch befinden sich wirkliche SHM-Systeme kaum im Einsatz. Dass dies so ist, liegt an der Komplexität solcher Systeme. Es reicht nicht aus, einen Sensor auf das zu überwachende Bauteil zu applizieren. Um ein zuverlässiges und robustes System zu entwerfen, müssen viele weitere Themenpunkte adressiert werden. Das Strukturverhalten muss sowohl im ungeschädigten als auch im geschädigten Zustand verstanden sein. Reduzierte Rechenmodelle müssen erzeugt werden, die die Messwerte bereits an der Struktur verarbeiten können (Edge Computing). Nur so lässt sich eine Echtzeitfähigkeit sicherstellen. Weitere Fragestellungen betreffen die Energieversorgung und den Datentransfer. Je nach Einsatzgebiet kann beispielsweise ein Konzept zur Energierückgewinnung (Energy Harvesting) notwendig sein. Die Entwicklung eines SHM-Systems ist also eine hochgradig interdisziplinäre Aufgabe, siehe Abbildung 3. Eine zufriedenstellende und effiziente Lösung kann nur durch eine ganzheitliche Betrachtung und ein wohldefiniertes Schnittstellen-management gefunden werden.

Diese Aufgabe kann von keinem Unternehmen allein bewältigt werden. Aus diesem Grund wird an der RWTH Aachen das Center Smart Sensing Systems ins Leben gerufen. Durch die Vernetzung industrieller Partner mit den Instituten der RWTH Aachen wird erstmalig in Deutschland auf diesem Gebiet ein Konsortium geschaffen, das die notwendige fachliche Breite und industrielle Kompetenz bündelt, um das SHM in die Praxis zu tragen und seine vollen Potenziale zu schöpfen. Die Mitgliedschaft im Center Smart Sensing Systems ist branchenübergreifend für jeden industriellen Partner möglich.

Institut für Strukturmechanik und Leichtbau, RWTH Aachen University

Tätigkeitsschwerpunkte

  • Leichtbauoptimierung von Strukturen
  • Entwicklung von SHM-Systemen und digitaler Schatten
  • Simulation statischer und dynamischer Problemstellungen

Branchen- und Technologiefelder

  • Automotive
  • Luft- und Raumfahrt
  • Neue Bauweisen

Wichtigste Regionen für die eigene Wertschöpfung (Entwicklung/Produktion/Märkte)

  • DACH Region
  • Benelux, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien

www.sla.rwth-aachen.de

Abbildung 1: Ein Beispiel für gelungene Zusammenarbeit: Faseroptische Sensoren integriert in eine Welle aus glasfaserverstärktem Kunststoff. © Institut für Strukturmechanik und Leichtbau.
Abbildung 2: Vergleich der Sicherheit und der Überwachungs-kosten im Betrieb einer Struktur mit und ohne SHM. Veränderte Version der Abbildung aus: K-U Schröder, A Preisler. Leichtbau 4.0: Grundlagen und Potentiale des Structural Health Monitorings. In: Handbuch Industrie 4.0: Recht, Technik, Gesellschaft. Springer, 2020.
Abbildung 3: SHM als interdisziplinäre Aufgabe Abbildung aus: A Preisler. Efficient Damage Detection and Assessment Based on Structural Damage Indicators. Doktorarbeit, RWTH Aachen. Shaker Verlag, 2020.

Bildergalerie

Quelle: NMWP-Magazin

RWTH Aachen University

Die RWTH Aachen University bedient sich der starken Forschungsnetzwerke und der intellektuellen Neugier ihrer Mitarbeitenden, um Wissen zu anspruchsvollen wissenschaftlichen Fragestellungen zu generieren, führendes Wissen zu transferieren und...mehr...