Grünes Licht für die Kreislaufwirtschaft

Recycling allein macht noch keinen Kreislauf. Die Transformation linearer Strukturen hin zu Circular Economy benötigt mehr als den umweltbewussten Umgang mit Abfällen. Es braucht ein Umdenken der gesamten Wertschöpfung und unserer Gesellschaft.

Das Ziel einer Kreislaufwirtschaft oder „Circular Economy“ (CE) ist die langlebige Wertschöpfung von Gütern und die nachhaltige Nutzung von Ressourcen. Der Wert eines Materials, Produkts oder Rohstoffs soll möglichst lange erhalten bleiben. Entlang der Wertschöpfungskette, also von der Gewinnung der Primärressourcen über die Nutzungsphase bis hin zur Entsorgung, entstehen dabei idealerweise nur geringfügig Abfälle. Durch den bewussten Umgang mit Ressourcen und Gütern ergeben sich so immense ökologische und ökonomische Vorteile.

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist derzeit jedoch lediglich eine Vision. Angesichts der global rasant zunehmenden Mittelklasse und dem Streben nach westlichen Konsumstandards stößt unsere lineare Wirtschaft vor dem Hintergrund der Ressourcenverknappung an ihre Grenzen. Die Verschwendung von Ressourcen in Form von Abfall wird zunehmend ein Luxus. Die Europäische Union strebt selber eine Kreislaufwirtschaft an, die Materialkreisläufe auf mehreren Ebenen berücksichtigt: Überdenken des Produkteinsatzes und Intensivierung des Materialeinsatzes durch eine verlängerte Produkt-lebensdauer, Wiederverwendung, Wiederaufbereitung und Reparatur sowie der Kaskadennutzung, Reduzierung des Materialbedarfs in Produkten mit Fokus auf Design für Kreislauffähigkeit und Vermeidung von Überspezialisierung sowie Recycling von Abfallstoffen in der Wertschöpfungskette.

Wie kann also die Transformation zu einer CE gelingen? Welche Hürden muss unsere Gesellschaft überwinden, um Stoffkreisläufe zu schließen? Und welche Rolle spielt das „Center for Circular Economy“ (CCE) der RWTH Aachen University dabei?

Recycling macht noch keinen Kreislauf!

Mit der steigenden Bedeutung von Abfällen als Rohstoffquelle kommt dem Recycling branchenübergreifend eine Schlüsselrolle in der Bereitstellung von Ressourcen zu. Das bloße Recyceln und Bereitstellen von beispielsweise Kunststoffrezyklaten schließt jedoch noch keinen Stoffkreislauf. Zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft ist eine ganzheitliche Steuerung der Recyclingsysteme notwendig. Ebenso braucht es übergreifende Qualitätsprüfverfahren entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die eine einheitliche Klassifizierung und Nutzung von Rezyklaten ermöglicht. Zusätzlich müssen die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das Recycling rentabler und die Produktion mittels Sekundärrohstoffen attraktiver zu machen.

Design für Recycling!

Während neben der Senkung des Rohstoffverbrauchs gerade die Erforschung neuer Recyclingverfahren im Fokus steht, ist vor allem die Wiederverwendung essenziell in der Etablierung einer CE. Um erfolgreich Stoffkreisläufe zu schließen, sollen beim Beginn des Wertschöpfungsprozesses angesetzt werden. Das Produktdesign muss bereits die Verwertung am Ende des Produktlebenszyklus einbeziehen. So können beispielsweise durch die Modularisierung von Komponenten und Produkten Reparaturpotentiale gesteigert und die effiziente Zerlegung und stoffliche Verwertung von Altprodukten begünstigt werden. Um eine Kreislaufwirtschaft effektiv umzusetzen, braucht es dafür die aktive Beteiligung aller Akteure. Hierbei stehen vor allem die Hersteller bzw. Lieferanten in der Verantwortung.

Innovative Geschäftsmodelle statt End-of-Pipe-Lösungen!

Eine zentrale Aufgabe liegt somit auch in der Kommunikation rund um das Thema Kreislaufwirtschaft. Die aktuelle Kreislaufwirtschaftsdebatte setzt den Fokus zu stark auf den Bereich des Abfallmanagements. Klassische Geschäftsmodelle begünstigen dabei den Verkauf kurzlebiger Produkte. Jedoch müssen Maßnahmen bereits vor dem Ende des Produktlebenszyklus greifen. Statt der bloßen Verwertung und Aufbereitung braucht es innovative Geschäftsmodelle, welche die Langlebigkeit der Erzeugnisse unterstützen. „Nutzen statt Besitzen“-Konzepte treiben so beispielsweise das wirtschaftliche Interesse an langlebigen, reparaturfreundlichen sowie gut recyclebaren Produkten voran und stellen der Verwertungsbranche eine kalkulierbare Masse spezifischer Altprodukte zur Verfügung.

Die 9R-Strategie

Fast alle Komponenten, Produkte sowie Zwischenprodukte werden heutzutage vor dem Hintergrund der 9R-Strategie betrachtet (Refuse, Rethink, Reduce, Reuse, Repair, Refurbish, Remanufacture, Repurpose, Recycle, Recover), wodurch neben einer stofflichen Verwertung der Rohstoffe auch hochwertige Anwendungen überprüft werden sollen. Die gesamte Prozesskette sowie Änderungen der Rohstoff- und Technologieverfügbarkeiten wird modelliert und fließt in eine gesamtheitliche Bewertung ein. Ökologische Auswirkungen werden mittels Life Cycle Assessments (LCA) erfasst und bewertet.

Diese Konzepte zielen auf den höchstmöglichen Werterhalt ab, bei dem das klassische Recycling erst ganz am Ende steht. Einer umfassenden Bewertung des Verwertungspotentials aller Komponenten eines Produktes, vielleicht mit KI-gestützten Analyse- und Diagnoseverfahren, folgt auf der technischen Ebene eine Betrachtung u.a. bezogen auf Herausforderungen zu geeigneten Logistiksystemen, zur automatischen lasergestützten Demontage und sensorgestützten Sortierung der einzelnen Subsysteme, aber auch im Hinblick auf die Wiederverwertung von Komponenten sowie effiziente Verfahren zum finalen Recycling und zur Wiederbereitstellung von Rohmaterialien. Insofern arbeitet die 9R-Strategie den Industrien wie der Automobilindustrie zu. Allen Verwertungsschritten liegt eine umfassende ökologisch-ökonomische Bewertung mit Verfahren des Life-Cycle-Assessment und der Life-Cycle-Cost-Analyse zu Grunde. Dies schließt Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutzung von Gebrauchtkomponenten integral mit ein. Das CE-Potenzial bestimmter Produkte wurde durch diese Konzepte bereits an der RWTH erforscht.

Parallel zu der 9R Strategie sollten auch Digitalisierungsaspekte nicht vergessen werden. Digitalisierung bringt auch Nachhaltigkeit und die Kreislaufwirtschaft voran, durch innovative Informationssysteme, die viele Prozesse in die Industrie und Gesellschaft begleiten. Dies ist z.B. mit Hilfe großer Datenmengen und ihre intelligente Analyse sowie die Zugänglichkeit und Repräsentation von Informationen durch moderne Benutzerschnittstellen möglich.

StufeBezeichnungErklärung
R0RefuseErsetzen oder Aufgabe des Produkts
R1RethinkIntensivere Nutzung eines Produktes
R2ReduceSteigerung der Effizienz bei der Produktherstellung
R3ReuseWiederverwendung eines entsorgten, funktionsfähigen Produkts durch einen anderen Nutzer
R4RepairReparatur oder Wartung eines defekten Produkts
R5RefurbishWiederherstellung und Aufbesserung des Wirkungsgrades bzw. Erscheinungsbildes eines alten Produkts
R6RemanufactureWiederverwendung von entsorgten Teilen in einem Produkt mit gleicher Funktion
R7RepurposeWiederverwendung von entsorgten Teilen in einem Produkt mit anderer Funktion
R8RecycleRückgewinnung von Rohstoffen
R9RecoverEnergetische Wiederverwertung von Materialien

Tabelle 1: Die 9R-Strategie im Überblick

CCE – Regionales Cluster für Kreislaufwirtschaft

Die Kernaspekte zur Umsetzung einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft sind die Etablierung effizienter Stoffkreisläufe, Design für Recycling und innovative Geschäftsmodelle. Das CCE hat sich entsprechend genau diesen Punkten gewidmet. Das Center bündelt die Kompetenzen der einzelnen Institute der RWTH Aachen University im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Zusammen mit Industrie, Politik und Bevölkerung arbeitet das CCE an innovativen Lösungen und schafft ein regionales Cluster, welches auf nationaler und internationaler aktiv ist. Das CCE strebt an, sich in Europa als führendes Zentrum für Kreislaufwirtschaft zu positionieren und Grundlage einer vernetzten Industrie zu bilden, welche demonstrativ eine funktionierende CE umsetzt.

Es gibt viel zu tun!

Die Transformation hin zur CE bedeutet fundamentale Umbrüche in unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft. Nicht nur der Umgang mit Abfällen, sondern die gesamte Wertschöpfung von der Ressource bis zur Verwertung und Rückführung muss umgedacht werden. Diesen Paradigmenwechsel können wir nur in inter- und transdisziplinärer Zusammenarbeit von Industrie, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft bewältigen. Die Widmung eines Kapitels an die Kreislaufwirtschaft im neuen Koalitionsvertrag lässt uns dabei positiv in die Zukunft blicken.

(Autoren: Dr.-Ing. Mohammad Chehadé, Geschäftsführer, Center for Circular Economy (CCE) der RWTH Aachen University und Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Bernd Friedrich, Direktor des Instituts für Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling (IME) der RWTH Aachen University und Sprecher & Initiator, Center for Circular Economy (CCE) der RWTH Aachen University)

Quellen:

  1. Emmerich et al. (2020): Einsatz von Post Consumer Kunststoffrezyklaten in der Elektronikbranche als erfolgsversprechendes Geschäftsmodell der Kreislaufwirtschaft. In: Recycling- und Sekundärrohstoffe, Band 13, Bd. 13, S. 129–140.
  2. Friedrich et al. (2020): Elektroautos als Teil der Circular Economy: Tradeoffs und Werttreiber. In: Recycling- und Sekundärrohstoffe, Band 13, Bd. 13, S. 173–181.
  3. Goldmann (2019): Recycling 4.0 - Auf dem Weg zur Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft. In: Stephanie Thiel • Olaf Holm • Elisabeth Thomé-Kozmiensky • Daniel Goldmann • Bernd Friedrich (Hg.): Recycling- und Sekundärrohstoffe, Band 12, Bd. 12: Thomé-Kozmiensky Verlag GmbH, S. 3–14.
  4. Helmut Löwe (2020): Innovative Geschäftsmodelle als Basis einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft. In: Recycling- und Sekundärrohstoffe, Band 13, Bd. 13, S. 101–112.
  5. Henning Wilts, Nadja von Gries (2017): Der schwere Weg zur Kreislaufwirtschaft.
  6. Löwe (2019): Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft. In: Stephanie Thiel • Olaf Holm • Elisabeth Thomé-Kozmiensky • Daniel Goldmann • Bernd Friedrich (Hg.): Recycling- und Sekundärrohstoffe, Band 12, Bd. 12: Thomé-Kozmiensky Verlag GmbH, S. 119–1129.
  7. Obermeier, Henkel (2020): Systematisierung des Kunststoffrecyclings. In: Recycling- und Sekundärrohstoffe, Band 13, Bd. 13, S. 185–208.
  8. Olaf Holm • Elisabeth Thomé-Kozmiensky • Daniel Goldmann • Bernd Friedrich (Hg.) (2020): Recycling- und Sekundärrohstoffe, Band 13: Thomé-Kozmiensky Verlag GmbH.

Abbildung 1: Die Kreislaufwirtschaft erfordert ein grundlegendes Umdenken entlang der gesamten Wertschöpfungskette. © ANTS/CCE der RWTH Aachen University

Abbildung 2: Das Center for Circular Economy der RWTH Aachen University versteht sich nicht nur als Vermittler zwischen den heterogenen Akteruen der Wertschöpfungskette, sondern vielmehr als zentraler Ansprechpartner darüber hinaus, auch für Fragen aus der Gesellschaft. © CCE der RWTH Aachen University

Bildergalerie

Quelle: NMWP-Magazin

IME - Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling Institut und Lehrstuhl der RWTH Aachen University

Das IME Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling (Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. Bernd Friedrich) beschäftigt sich mit angewandter Forschung und Lehre in den Bereichen der extraktiven Metallurgie (Pyrometallurgie und Hydrometallurgie), der...mehr...