Das Rohstoffpotenzial von Smartphones nutzen

Smartphones sind Träger zahlreicher Rohstoffe, allen voran (kritischer) Metalle. Wie man diese zurückgewinnen kann und wo Defizite in etablierten Recyclingprozessen bestehen, untersuchen Institute der RWTH Aachen University in der Sensibilisierungs-Kampagne „100 Smartphones“.

Durchschnittlich alle 18 bis 24 Monate tauschen wir unser Smartphone gegen ein neueres Modell (Bookhagen et al. 2018). Das alte Gerät landet dann häufig in der Schublade, statt fachgerecht entsorgt zu werden. So werden dem Recycling bis zu 60 verschiedene Rohstoffe vorenthalten – darunter über 20 Metalle. Zu diesen Metallen gehören neben den bekannten Basismetallen Kupfer, Aluminium und Eisen auch Edelmetalle und kritische Metalle wie Indium, Gallium und Germanium. (Birich et al. 2016)

Die Fakultät für Georessourcen und Materialtechnik (Fakultät 5) der RWTH Aachen University (RWTH) rief in ihrer Kampagne „100 Smartphones“ ihre Mitarbeitenden dazu auf, ihre „Schubladenhandys“ abzugeben, um für die Menge an gehorteten Geräten zu sensibilisieren. Die gesammelten Smartphones dienen nun als Grundlage, um im Einklang mit dem Circular Economy Framework Recyclingprozesse bzw. Prozessketten zu erproben, die möglichst das gesamte Rohstoffpotenzial der Smartphones erschließen (vgl. Abbildung 1). Dabei werden nicht nur technische Ansätze zum Recycling von Metallen, Gläsern und anderer Stoffgruppen verfolgt, sondern auch Schnittstellen innerhalb der Recyclingprozesskette sowie zur Herstellung neuer Geräte, die Anwendung von Digitalisierungsansätzen, sowie die Nutzungs- und Sammlungs-Situation untersucht.

Der in diesem Beitrag beschriebene Zusammenschluss aus dem Lehrstuhl für Anthropogene Stoffkreisläufe (ANTS) und dem Institut für Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling (IME) beforscht im Rahmen der Kampagne die Prozesskette zur hydrometallurgischen Rückgewinnung von Basis-, Edel- und kritischen Metallen aus Smartphone-Leiterplatten. Insgesamt werden drei wesentliche Prozessabschnitte untersucht und aufeinander abgestimmt: Die Demontage, die thermische Vorbehandlung sowie die hydrometallurgische bzw. nass-chemische Metallrückgewinnung. Die entwickelte Prozessroute soll als alternativer Ansatz zum etablierten pyrometallurgischen Recyclingprozess dienen, da in diesem nur edle Metalle wie Kupfer und Edelmetalle zurückgewonnen werden können. Die kritischen Metalle werden aufgrund ihres unedlen Charakters bei diesem Prozess nicht recycelt und gehen dem Wirtschaftskreislauf verloren. (Birich et al. 2016; Ghosh et al. 2015)

Demontage

Die Demontage ist ein gesetzlich vorgeschriebener Behandlungsschritt für Elektro- und Elektronikschrott, folglich auch für Smartphones. Ziel ist es, die Geräte von Schadstoffen zu befreien und ausgewählte Bauteile – darunter auch Leiterplatten – aus den Smartphones zu entnehmen und in Stoffgruppen für das weitere individuelle Recycling aufzukonzentrieren. Das ANTS untersucht den Aufbau und die Zusammensetzung von Smartphones und Leiterplatten. Dies ermöglicht, über die gesetzlich vorgeschriebene Entnahme der Leiterplatten hinaus, eine effektive Trennung von Werkstoffen wie Glas und Kunststoffen sowie eine gezielte, selektive Demontage der elektronischen Komponenten vorzunehmen. Für das Metallrecycling können so bereits zu Anfang der Prozesskette Metallkonzentrate erstellt werden, auf die die hydrometallurgische Weiterverarbeitung abgestimmt werden kann, um die Ausbeute der Metalle zu verbessern. Große Herausforderung neben der technischen Umsetzung der Demontage ist die wirtschaftliche Gestaltung des Prozessabschnitts, die aktuell einer Umsetzung der selektiven Demontage im industriellen Maßstab im Wege steht (Ghosh et al. 2015).

Pyrolyse

Die Pyrolyse ist ein thermo-chemischer Prozess, bei dem langkettige organische Moleküle in kürzere Verbindungen zerlegt und verflüchtigt werden. Im Falle von Elektro- und Elektronik-Altgeräten und Leiterplatten bedeutet dies konkret, dass Kunststoffe, Epoxidplatten und organische Beschichtungen zersetzt werden, wodurch Öle und wertvolles heizwertreiches Gas entstehen, während Metalle und andere nicht-organische Stoffe nicht beeinträchtigt werden. Das Hauptziel der Pyrolyse beim Recycling von Leiterplatten für die Metallurgie besteht darin, eine sauberere und leichter zu verarbeitende Metallfraktion zu erzeugen: Schädliche Flammschutzmittel werden entfernt und in den Ölprodukten gesammelt, Metalle können zur weiteren Anreicherung leichter mechanisch verarbeitet werden und die Recyclingeffizienz der gewünschten Elemente in der festen Fraktion kann erhöht werden. (Latacz et al- 2020, Mankhand et al. 2012)

Hydrometallurgische Weiterverarbeitung

Die Hydrometallurgie umfasst verschiedene Methoden wie die Laugung zur selektiven Metallextraktion und die anschließende Fällung zur Metallgewinnung (Cui und Anderson 2016). Um im hydrometallurgischen Prozessweg einen Feststoff aufzulösen, werden üblicherweise Mineralsäuren, Basen, Cyanid- sowie Halogenid-Lösungen verwendet. (Das et al. 2021) Am IME wird die Nutzung organischer Lösungsmittel untersucht, um negative Umweltauswirkungen zu vermeiden bzw. zu reduzieren (Jadhav et al. 2016). Der Fokus liegt zunächst auf der Rückgewinnung der Basismetalle wie Kupfer, Aluminium, Blei und Zinn sowie auf der Untersuchung der Verteilung kritischer Elemente wie Tantal, Gallium und Indium. Im weiteren Verlauf des Projekts soll die Rückgewinnung von Edelmetallen untersucht sowie eine auf organischen Lösungsmitteln basierende Verfahrensroute entwickelt werden.

Schlussfolgerung

Die Entwicklung solcher Verfahrensrouten für das ganzheitliche Recycling von High-Tech Produkten, ist ein notwendiger Anspruch, dem sich eine nachhaltige Gesellschaft im Zuge der Transformation zur Circular Economy stellen muss. In der Sensibilisierungskampagne „100 Smartphones“ werden erste (technische) Ansätze entwickelt, die die Potenziale des Smartphone-Recyclings aufzeigen und erschließen. Im Sinne einer CE muss das System ganzheitlich betrachtet und Potentiale entlang der gesamten Wertschöpfungskette gehoben werden. Aus den Ergebnissen sollen konkrete Anforderungen an Entwicklung, Produktion und Nutzung von Smartphones sowie politische Rahmenbedingungen formuliert werden, die die Verschiebung der Circular Economy von einer konzeptionellen auf eine anwendungsorientierte Ebene ermöglichen.

(Autoren:  Dzeneta Vrucak, Merle Hüsgen, Damien Latacz und Dr. Alexander Birich)

Quellen:

  1. B. Bookhagen et al., “Rohstoffverbrauch von Smartphones,” in vol. 11, Recycling und Rohstoffe, S. Thiel, E. Thomé-Kozmiensky, and D. Goldmann, Eds., Neuruppin: Thomé-Kozmiensky Verlag GmbH, 2018, pp. 519–531.
  2. A. Birich, N. Borowski, F. Diaz, B. Flerus, and A. Trentmann, “Effizientes Recycling von Elektronikschrott: Die Herausforderung, 20 Metalle zurückzugewinnen,” in RWTH Themen: Forschungsmagazin, RWTH Aachen, Ed., 2016, pp. 50–53.
  3. B. Ghosh, M. K. Ghosh, P. Parhi, P. S. Mukherjee, and B. K. Mishra, “Waste Printed Circuit Boards recycling: an extensive assessment of current status,” Journal of Cleaner Production, vol. 94, pp. 5–19, 2015, doi: 10.1016/j.jclepro.2015.02.024.
  4. D. Latacz, F. Diaz, A. Birich, B. Flerus, and B. Friedrich, “WEEE Recycling at IME - RWTH Aachen: From Basic Metal Recovery to Resource Efficiency,” World of Metallurgy - ERZMETALL, vol. 73, pp. 155–162, 2020.
  5. T. R. Mankhand, K. K. Singh, S. K. Gupta, and S. Das, “Pyrolysis of Printed Circuit Board,” Int. J. of Metallurgical Engineering, pp. 102–107, 2012.
  6. H. Cui and C. G. Anderson, “Literature Review of Hydrometallurgical Recycling of Printed Circuit Boards (PCBs),” J Adv Chem Eng, vol. 6, no. 1, 2016, doi: 10.4172/2090-4568.1000142.
  7. D. Das, S. Mukherjee, and M. G. Chaudhuri, “Studies on leaching characteristics of electronic waste for metal recovery using inorganic and organic acids and base,” Waste management & research : the journal of the International Solid Wastes and Public Cleansing Association, ISWA, vol. 39, no. 2, pp. 242–249, 2021, doi: 10.1177/0734242X20931929.
  8. U. Jadhav, C. Su, and H. Hocheng, “Leaching of metals from large pieces of printed circuit boards using citric acid and hydrogen peroxide,” Environmental science and pollution research international, vol. 23, no. 23, pp. 24384–24392, 2016, doi: 10.1007/s11356-016-7695-9.

Projekt „100 Smartphones“

Circular-Economy-Bereich

  • Recover / Recycle
  • Reduce waste

Innovative Technologien/Service

  • Aufbereitung und Demontage
  • Metallurgie

Adressierter Werkstoff

  • Smartphones: Kunststoffe, Gläser und Metalle
  • Basis-, Edel- und kritische Metalle

Impact

  • Near Zero-Waste Recycling Prozess für Smartphones
  • Rückgewinnung rohstoffkritischer Metalle

www.metallurgie.rwth-aachen.de

Abbildung 1: Aufbau der „100 Smartphones“ Kampagne

Bildergalerie

Quelle: NMWP-Magazin

IME - Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling Institut und Lehrstuhl der RWTH Aachen University

Das IME Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling (Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. Bernd Friedrich) beschäftigt sich mit angewandter Forschung und Lehre in den Bereichen der extraktiven Metallurgie (Pyrometallurgie und Hydrometallurgie), der...mehr...