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Erster experimenteller Nachweis von Anti-Skyrmionen: 3 Fragen an Nikolai Kiselev

Dr. Nikolai Kiselev, Copyright: — Forschungszentrum Jülich / Konstantin Rushchanskii

Winzige magnetische Wirbelstrukturen in Materialien, genannt Skyrmionen, sind vor gut 10 Jahren erstmals experimentell nachgewiesen worden. Sie bilden heute eine Grundlage für innovative Konzepte für eine Informationsverarbeitung mit höherer Leistung und weniger Energieverbrauch. Außerdem beeinflussen Skyrmionen die elektronischen und thermodynamischen Eigenschaften eines Materials. Wegen ihrer Relevanz sowohl für die angewandte Forschung als auch für die Grundlagenforschung und sind die Skyrmionen Gegenstand zahlreicher Untersuchungen weltweit und auch am Forschungszentrum Jülich. Jülicher Wissenschaftler wiesen nun, gemeinsam mit Kollegen an der RWTH Aachen und der schwedischen Universität von Uppsala, erstmals Anti-Skyrmionen experimentell nach. Der Jülicher theoretische Physiker Dr. Nikolai Kiselev, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Peter Grünberg Institut und vom Institute for Advanced Simulations, gehört zum Team dem der Nachweis gelang, und erläutert seine Bedeutung.

Was sind magnetische Antiskyrmionen und warum erforschen Sie sie?

Ein magnetisches Antiskyrmion ist ein Mitglied einer großen Familie von Objekten, die als „magnetische Solitonen“ bezeichnet werden. Bevor ich dazu komme, was ein magnetisches Soliton ist, fällt vermutlich auch Nicht-Physikern der Namensbestandteil "Anti" auf. Er weist darauf hin, dass es ein entgegengesetztes Objekt gibt, das als "Skyrmion" bezeichnet wird. Die Präposition "anti" wird in der Teilchenphysik häufig verwendet. Relativ bekannt sind zum Beispiel Myonen und Antimyonen oder Neutrinos und Antineutrinos. Generell kann die Präposition "anti" auf alle Antiteilchen von Elementarteilchen angewendet werden, die den Familien der so genannten Leptonen und Bosonen angehören, mit Ausnahme des Elektrons, dessen Antiteilchen als Positron bezeichnet wird.

Analogien zu Elementarteilchen sind hilfreich, um die Eigenschaften von Skyrmionen und Antiskyrmionen zu verstehen. Ein wesentliches Merkmal eines Teilchen-Antiteilchen-Paares ist, dass es sich annihilieren kann, wobei die ursprünglichen Teilchen verschwinden und Energie freigesetzt wird. Auch ein magnetisches Skyrmion und sein Antiteilchen können sich annihilieren. Bei der Elektron-Positron-Annihilation wird Energie durch die Emission eines Photons freigesetzt. Im Gegensatz dazu wird bei der Annihilation eines Skyrmions und eines Antiskyrmions Energie in Form von so genannten Spinwellen freigesetzt. Zu diesen Spinwellen komme ich gleich.

Obwohl eine solche Analogie zwischen Elementarteilchen und magnetischen Solitonen nützlich ist, kann sie nur bis zu einem gewissen Grad verwendet werden, da die physikalische Natur von Elementarteilchen und magnetischen Solitonen unterschiedlich ist. Lassen Sie mich das erklären. Elementarteilchen sind Erregungen von Quantenfeldern während magnetische Solitonen Erregungen von Magnetisierungsfeldern sind, die sich mit den Mitteln der klassischen Physik beschreiben lassen. Für ein vereinfachtes Bild eines Magnetisierungsfeldes in einem Material kann man sich vorstellen, dass die Atome, aus denen das Material besteht, kleine Magnete sind. Obwohl ihre Positionen im Material fest sind, kann der Magnetisierungsvektor, der die Nord- und Südpole jedes einzelnen Magneten verbindet, in jede beliebige Richtung zeigen.

In der Realität führen die Wechselwirkungen zwischen den Magnetfeldern der verschiedenen Atome in der Regel zu einer nahezu parallelen Ausrichtung der Magnetisierungsvektoren, zumindest lokal. Diese nahezu perfekte Ordnung kann jedoch durch verschiedene Stimuli, wie externe Magnetfelder oder Temperaturschwankungen, gestört werden. In den meisten Fällen klingen solche Störungen schnell ab, so wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Nach einiger Zeit entfernen sich die Wellen vom Ort der ursprünglichen Anregung, ihre Höhe nimmt ab und sie sind nicht mehr sichtbar. Ein ähnlicher Effekt tritt im Inneren magnetischer Kristalle bei Spinwellen auf. Eine Spinwelle breitet sich durch Richtungsänderungen der Magnetisierungsvektoren aus. Ihre Amplitude nimmt mit der Zeit ab, und das System kehrt schließlich in seinen Ausgangszustand zurück.

Solitonen sind besondere Arten von Erregungen, die ihre Form in Raum und Zeit beibehalten können. Typischerweise sehen sie wie isolierte Wellen aus, die sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegen. Stellen Sie sich eine einzelne Welle vor, die sich entlang eines Wasserkanals mit konstanter Geschwindigkeit und mit einer nicht abnehmenden Höhe ausbreitet. Solche Solitonen auf Wasseroberflächen wurden 1834 von John Scott Russell entdeckt. Im Gegensatz zu den Wellen auf der Wasseroberfläche können Solitonen in magnetischen Kristallen perfekt in allen drei Raumrichtungen lokalisiert werden und bleiben auch im Ruhezustand stabil, genau wie echte Teilchen. Magnetische Skyrmionen und Antiskyrmionen sind Beispiele für solche statisch stabilen Solitonen.

Der Grund für unser Interesse an den magnetischen Solitonen sind nicht nur ihre verblüffenden Ähnlichkeiten mit gewöhnlichen Teilchen. Hinzu kommt, dass sie sich leicht manipulieren lassen. Insbesondere können wir sie dazu bringen, sich zu bewegen und miteinander zu interagieren. Indem wir zum Beispiel die Stärke eines externen Magnetfeldes variieren, können wir sie zerstören und neu bilden. Unter bestimmten Bedingungen können sie sogar perfekt geordnete Muster bilden, ähnlich wie bei Kristallgittern. Die typische Größe von magnetischen Skyrmionen in Materialien liegt zwischen einigen Nanometern und einigen hundert Nanometern.

Es gibt einerseits mehrere Ideen zur Nutzung magnetischer Solitonen als bewegliche Datenbits in Datenspeichern. Diese Konzepte ähneln denen, die früher bei den so genannten Magnetblasenspeichern verwendet wurden. Bei diesen nichtflüchtigen Speichern wurden Bits als kleine Bereiche in dünnen Filmen eines magnetisierbaren Materials gespeichert. Die schnelleren und dichter beschreibbaren Festplatten liefen ihnen jedoch den Rang ab. Darüber hinaus gibt es Vorschläge für den Einsatz von Skyrmionen in der neuromorphen und stochastischen Datenverarbeitung.

Um solche Konzepte zu realisieren, müssen wir zunächst noch mehr über die grundlegenden Eigenschaften von Skyrmionen und Antiskyrmionen wissen. Darauf konzentriert sich unser Team am Forschungszentrum Jülich, das aus Theoretikern des Peter Grünberg Instituts und Experimentatoren Ernst Ruska-Centrums besteht.

Die Existenz magnetischer Antiskyrmionen war durch theoretische Überlegungen vorausgesagt. Was hat Ihnen nun den Nachweis von Antiskyrmionen möglich gemacht?

Kurz gesagt: Hochauflösende Elektronenmikroskopie und fortschrittliche Simulationen sowie langjährige Erfahrung in der Untersuchung des untersuchten Materials, gepaart mit sorgfältiger experimenteller und theoretischer Arbeit der beteiligten Forscher:innen in Jülich und bei unseren Kooperationspartnern. Doch um ehrlich zu sein, war die Entdeckung von Antiskyrmionen in einer Eisen-Germanium-Legierung eine Überraschung für uns. Das ist eine typische Situation in der Wissenschaft! Als Forscher plant man Experimente mit dem Ziel, ein bestimmtes Phänomen zu beobachten und zu beweisen, entdeckt aber etwas ganz Anderes und manchmal sogar Spannenderes. Unser Experiment war ursprünglich für die Beobachtung einer anderen Art magnetischer Solitonen konzipiert: Skyrmion-Beutel.

Aus unserer theoretischen Arbeit wussten wir, dass wir dünne Platten aus einer Eisen-Germanium-Legierung (FeGe) benötigen würden, um die Stabilität von Skyrmion-Beuteln untersuchen zu können. Wie sich herausstellte, sind solche dünnen Schichten mit einer Dicke von nur etwa 70 Nanometern auch erforderlich, um stabile Antiskyrmionen zu sehen. Allerdings haben wir dies erst nach unseren experimentellen Beobachtungen richtig verstanden. Die Proben von außergewöhnlich hoher Qualität wurden von dem Team um Haifeng Du am Hochmagnetfeldlabor in Hefei, China hergestellt, unserem langjährigen Kooperationspartner. Zur Herstellung der Proben verwendeten sie eine Technik, die als fokussiertes Ionenstrahlfräsen bekannt ist. Sie verwendeten Gallium-Ionen, die durch eine Hochspannung beschleunigt und auf einen winzigen Punkt fokussiert wurden, um aus einem großen FeGe-Kristall eine quadratische Platte mit einer Größe von nur 1 Mikrometer x 1 Mikrometer und einer Dicke von 70 Nanometern herauszuschneiden.

Die Proben untersuchte mein Jülicher Kollege Fengshan Zheng, ein Experte für die Abbildung von magnetischen und elektrischen Feldern in Materialien, im Transmissions-Elektronenmikroskop am Ernst Ruska-Centrum, das über eines der besten Elektronenmikroskopie-Labore der Welt verfügt. Ein solches Elektronenmikroskop besteht aus einer Vakuumkammer, in die man die Probe legt. Ein Elektronenstrahl wird durch eine Hochspannung beschleunigt und wandert durch die Probe, wo er mit der Magnetfeldverteilung in und um die Probe wechselwirkt. Eine ladungsgekoppelte Kamera nimmt eine Projektion des Magnetfelds der Probe mit einer räumlichen Auflösung im Nanometerbereich auf. Der deutliche magnetische Kontrast von Skyrmionen und Antiskyrmionen ermöglichte es uns, die Teilchen zu unterscheiden und zu untersuchen, wie sie entstehen und sich gegenseitig vernichten.

Um jedoch zu beweisen, dass der Kontrast in den Bildern bestimmten magnetischen Konfigurationen entspricht, wie eben Skyrmionen und Antiskyrmionen, mussten wir Computersimulationen mit den experimentellen Bildern vergleichen. Diese Simulationen sind rechnerisch sehr anspruchsvoll. Besonders herausfordernd ist es, nicht nur die magnetische Textur in der Probe, sondern auch den Kontrast in den aufgenommenen Bildern zu simulieren. Dafür nutzen wir eine Software zur effizienten Durchführung solcher Simulationen, die von unserem Kooperationspartner Filipp Rybakov von der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm entwickelt worden ist.

Diese Kombination aus hochauflösender Elektronenmikroskopie und fortschrittlichen Simulationen war für den Erfolg unserer Arbeit entscheidend. Wichtig war auch, dass sich unser Team seit vielen Jahren mit FeGe beschäftigt und umfangreiche Erfahrungen bei der Untersuchung dieser Legierung gesammelt hat, die zu einer Familie von Magneten gehört, die magnetische Skyrmionen beherbergen können. Der Ansatz, den wir für die Keimbildung und die Beobachtung von Antiskyrmionen entdeckt haben, erforderte sorgfältige experimentelle und theoretische Arbeit, einschließlich der präzisen Manipulation der Stärke und der Richtung des externen Magnetfelds um die Probe.

Wie kann die Forschung an magnetischen Nanostrukturen die IT voranbringen?

FeGe ist nur einer von vielen magnetischen Kristallen, in denen ähnliche Phänomene wie Antiskyrmionen zu erwarten sind. Wir glauben, dass wir in der Lage sein werden zu beweisen, dass Skyrmionen und Antiskyrmionen auch in anderen magnetischen Kristallen beobachtet werden können. Insbesondere sind wir auf der Suche nach Materialien, in denen Skyrmionen und Antiskyrmionen bei Raumtemperatur existieren können, was für Anwendungen vorteilhaft wäre. Zum Vergleich: „Unsere“ Antiskyrmionen haben wir bei ungefähr -178°C nachgewiesen.

Im Moment ist es schwierig abzuschätzen, wann unsere Forschung zu Anwendungen führen könnte. Da jedoch viele Forscher auf der ganzen Welt zur Entwicklung dieses Bereichs beitragen, könnten magnetische Solitonen bald ihre Anwendung finden. Es ist schwer vorherzusagen, welche Anwendungen das sein werden - vielleicht spezielle Chips, die in der Lage sind, vom Gehirn inspirierte neuromorphe Berechnungen durchzuführen. Solche Chips wären um Größenordnungen energieeffizienter als die heutigen. Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, wohin uns unsere Arbeit an magnetischen Solitonen in ein paar Jahren führen wird.

Forschungszentrum Jülich GmbH

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