Das Projekt NEUROTEC

Auf dem Gebiet des sogenannten Neuromorphen Computing arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich, der RWTH Aachen und des Johannes Rau Forschungsinstituts AMO eng zusammen an einer Revolution in der Computerarchitektur. Diese Innovation des Neuromorphen Computings in der zukünftigen Informationsverarbeitung ist deshalb nötig, weil für viele Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) die heutigen Computer nicht energie-effizient genug sind, das heißt ihre Rechenleistung pro eingesetzter Energie ist weit weg von einem Optimum. Sie verbrauchen insbesondere bei typischen KI-Aufgaben wie der komplexen Mustererkennung zu viel Energie. Neuartige „neuromorphe“ Rechner versprechen hingegen eine deutlich verbesserte Energieeffizienz, weil sie sich an der Funktionsweise und der Architektur des hoch effizient arbeitenden biologischen Gehirns orientieren.

Die Notwendigkeit für eine Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet zeigt ein Blick auf den globalen Verbrauch elektrischer Energie (2021: ca. 25000 TWh/Jahr, Quelle: statista). Die Informations- und Kommunikationstechnik hat daran einen absoluten Anteil von ca 3000 TWh/Jahr, d.h. 12 % des Gesamtstrombedarfs. Prognosen zeigen, dass dieser Anteil bereits bis zum Jahre 2030 auf über 30 % steigen wird (Quelle: A. Andrae, Challenges, 2015). Einen großen Anteil an diesem Wachstum hat die angestrebte digitale Transformation der Gesellschaft, heute schon getrieben durch die Nutzung für Video Streaming Dienste, die 5G-Netze, das Internet of Things, die digitale Verwaltung, die immer autonomer fahrenden PKWs, u.v.a.m..

Der Energiehunger klassischer Rechner insbesondere für KI-Anwendungen liegt zu einem großen Teil in der Trennung von Prozessor- und Speichereinheit begründet. Eine solche klassische Rechnerarchitektur wird nach ihrem Erfinder „von Neumann“ Architektur genannt. Für jede Rechenoperation werden Daten aus dem Speicher in den Prozessor geladen, dort werden dann die digitalen Rechenoperationen durchgeführt, und das Ergebnis wird wieder zurück in den Speicher geschrieben. Dieser ständige Verkehr zwischen Prozessor und Speicher führt zu einem Datenstau an diesem Flaschenhals, dem „von Neumann-Bottleneck“. Die KI-Leistungsfähigkeit und die Energieeffizienz heutiger Systeme sind dadurch begrenzt.

An diesem Problem setzt nun das BMBF-geförderte Verbundprojekt NEUROTEC – Neuro-inspirierte Technologien der künstlichen Intelligenz für die Elektronik der Zukunft – an. Die Fördergelder für das Projekt stammen aus dem Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen. Die Ausgangslage für die technologisch-wirtschaftliche Entwicklung der neuromorphen Technologie ist nämlich gerade in der Region Jülich/Aachen im internationalen Vergleich ausgesprochen günstig. Das Zukunftsthema Neuromoprhes Computing soll deshalb für den Strukturwandel der Region im Bereich Innovation und Bildung wirksam gefördert werden. Die Innovationen der neuromorphen Technologie entspringen insbesondere aus der Materialforschung, weil die Effizienzsteigerung in der Architektur der Computerhardware mit elektronischen Bauteilen aus den herkömmlichen Materialien an ihre Grenzen gekommen ist.  Wir haben in der Region international anerkannte Schwerpunkte auf dem Gebiet der Grundlagen sogenannter memristiver Materialien und Bauelemente, basierend auf Phasenwechselmaterialien und redox-aktiven Materialien. Phasenwechsel und Redoxreaktionen sind die grundlegenden Mechanismen, die Materialsysteme zu funktionellen elektronischen Bauelementen werden lassen. Diese neuen Hardwareelemente sind deswegen von besonderer Bedeutung für das Neuromorphe Computing, weil sie durch ihre Funktionalität eine erhebliche Verbesserung der Energieeffizienz im Vergleich zu konventionellen Halbleiterbauteilen versprechen. Mit diesen Bauelementen lässt sich das Rechnen-im-Speicher realisieren und damit der von Neumann-Flaschenhals vermeiden. Der Standort Aachen/Jülich hat auf dem Gebiet der memristiven Materialien und Bauelemente Pionierarbeit geleistet und wird seit 2009 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereiches SFB 917 „Nano-switches“ gefördert. Wir haben darüber hinaus sowohl am FZJ als auch an der RWTH Aachen eine starke Elektrotechnik mit Schwerpunkten auf dem digitalen und analogen Halbleiter-Chipentwurf und auf Chiparchitekturen. Ferner haben wir an der RWTH Aachen eine starke Informatik mit Schwerpunkten auf Algorithmen, Computervision, Spracherkennung und Maschinellem Lernen. Im FZJ setzt zudem die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung einen Schwerpunkt darauf, die Beziehung zwischen Architektur, Dynamik und Funktion des Gehirns aufzuklären. Jülich besitzt eine weltweit führende Software für die Simulation von neuronalen Netzwerken natürlicher Größe, sowie die wissenschaftliche Leitung des europäischen Human Brain Flagship-Projektes (HPB).  Ergänzt wurde die Jülicher Kompetenz aus der Materialwissenschaft zu memristiven Bauteilen, den Neurowissenschaften, der Elektronik und dem Supercomputing durch die Gründung zweier neuer Institute zum Neuromorphen Computing am Peter Grünberg Institut des Forschungszentrums Jülich, die neuromorphe Hardware und Software zusammen als System betrachten. So werden die Lücken zwischen dem Verständnis des Gehirns mit den darin verborgenen Neuroinspirationen für Computerarchitekturen, den Hardware Grundlagen in Material und Bauteil und der Anwendung im Supercomputer (u.a. wiederum zur Hirnsimulation) zu einem innovativen Kreis geschlossen.

Das im Strukturwandel wirksame Verbundprojekt NEUROTEC – Neuro-inspirierte Technologien der künstlichen Intelligenz für die Elektronik der Zukunft - baut auf dieser Ausgangslage auf. Wir decken in dem Projekt die gesamte Basistechnologie des Neuromorphen Computing für die KI ab. Der Schwerpunkt liegt auf memristiven Materialien und Bauelementen. Wir erforschen und entwickeln die Abscheide- und Integrationstechnologien memristiver Materialien, das Schaltungsdesign und die Architekturen, die Modellierung und Simulation, sowie die Messtechnik bis hin zu Hardware-Software Systemen auf Demonstrationschips. In das Projekt NEUROTEC sind für die Wirksamkeit im Strukturwandel gezielt regionale Firmen entweder als Projektpartner oder als assoziierte Partner eingebunden. Sie übernehmen die weitere Entwicklung und Industrialisierung der Anlagentechnologie zur Abscheidung memristiver Materialien auf Halbleitersubstraten, zur Messtechnik, zum Schaltungsdesign und zur Systemintegration. Darüber hinaus werden neuartige Einsatzweisen für konventionelle digitale, analoge und gemischt analog-digitale Halbleiterschaltungen im Neuromorphen Computing untersucht. Sie beruhen auf weiteren Inspirationen zur Funktionsweise des Gehirns aus den Neurowissenschaften, wie beispielsweise die extrem spärliche Codierung der Signale im Gehirn in Raum und Zeit oder der dreidimensionalen Konnektivität. Dies kann als eine Ko-Optimierung des Design-Technologie-Raumes betrachtet werden. Bei allen Ansätzen steht das Ziel einer Erhöhung der Energieeffizienz im Zentrum.

In komplementärer Ergänzung zum Projekt NEUROTEC haben wir im Rahmen der Zukunftscluster-Initiative des BMBF unter Federführung der RWTH Aachen und des Johannes Rau Instituts AMO den Zukunftscluster NeuroSys – Neuromorphe Hardware für autonome Systeme – einwerben können. Der Cluster NeuroSys ist top-down angelegt und soll das Feld von den Anwendungen (automatische Spracherkennung, Computer Vision, maschinelle Lernverfahren in der Medizin) her aufzäumen und sich bis zu neuen, aber bereits ausgetesteten Technologien erstrecken. Dies ergänzt in hervorragender Weise das Projekt NEUROTEC, welches bottom-up angelegt ist und sich mit einem stärker explorativen Charakter von den Materialtechnologien bis zu einfachen Systemen des Neuromorphen Computings erstreckt.

Quelle: NMWP-Magazin

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