Memristive Nano-Synapsen

Memristoren gehören zu den vielversprechendsten Bauelementen für die zukünftige Informationstechnik. Während sie ursprünglich Flash-Speicher ersetzen sollten, bilden sie heute als künstliche Nano-Synapsen die Basis für energieeffiziente Neuromorphik.

Ein neuronales System ist in der Lage Information zu erlernen und (ebenfalls wichtig) zu verlernen, wenn es dafür entsprechenden Reizen ausgesetzt wird. Neuronen bilden die Grundlage eines neuronalen Systems und werden durch Synapsen miteinander verbunden. Synapsen übernehmen also bei der Informationsverarbeitung, das heißt der Weitergabe oder Hemmung von Signalen, eine zentrale Rolle und übertreffen in ihrer Anzahl die Menge an Neuronen um mehrere Größenordnungen.

Klassisch werden neuronale Netze mittels Software auf konventioneller Computerhardware realisiert. Hierfür ist jedoch ein hoher Rechenaufwand und damit einhergehend eine hohe Leistungsaufnahme erforderlich. Heutige Mikroprozessoren nehmen eine Leistung von etwa 100 bis 200 W auf. Diese Leistung wird im Wesentlichen in Wärme auf einer Chipfläche von wenigen Quadratmillimetern umgesetzt und führt zu beachtlichen Verlustleistungsdichten, die weit oberhalb der Leistungsdichte von Kernkraftwerken liegt [1]. Die Anforderung diese Verlustleistungsdichte abzuführen, ist eine der größten Herausforderungen bei der weiteren Miniaturisierung der Mikroelektronik. Zum Vergleich: das menschliche Gehirn benötigt gerade einmal 20 W und ist für viele Anwendungen im Bereich der Mustererkennung deutlich leistungsstärker. Diese hohe Effizienz basiert vor allem darauf, dass anders als bei konventionellen Computern die Informationsverarbeitung und  Speicherung am gleichen Ort, nämlich den Neuronen und Synapsen, erfolgt. Da Anwendungen im Bereich Neuromorphik und Deep-Learning immer mehr an Bedeutung gewinnen, werden alternative Konzepte wie künstliche Nano-Synapsen intensiv erforscht.

Memristoren – oder genauer memristive Systeme – bestehen aus einem einfachen Metall-Isolator-Metall Schichtstapel, wobei die Bauelemente auf wenige Nanometer skaliert werden können (Abbildung 1). 2019 gelang es einer Gruppe von Wissenschaftlern an der University of Massachusetts (USA) Memristoren mit lateralen Abmessungen von weniger als 6 nm zu fertigen [2]. Das wesentliche Merkmal memristiver Systeme ist, dass der elektrische Widerstand des Isolators durch geeignete Spannungspulse zwischen mindestens zwei Zuständen – hochohmig und niederohmig und oftmals auch Zuständen dazwischen – nahezu beliebig oft durch die Bildung und Auflösung elektronisch leitfähiger Pfade programmiert werden kann.

Durch ihr analoges Verhalten in Kombination mit ihrer Strom-Spannungs-Hysterese (Abbildung 2) und einer starken nicht-linearen Schaltkinetik sind memristive Systeme besonders vorteilhaft zur Realisierung von Nano-Synapsen. Zum Beispiel lässt sich mit ihnen die so genannte Spike Time Dependent Plasticity (STDP) emulieren. Im Wesentlichen ist STDP ein Mechanismus, bei dem Synapsen die Informationsübertragung zwischen zwei Neuronen davon abhängig machen, in welchem zeitlichen Versatz ∆t die Neuronen auf einen Reiz reagieren. Erfolgt eine Reaktion des zweiten Neurons nach dem ersten Neuron (∆t>0), so wird die Verbindung der Neuronen gestärkt und umgekehrt geschwächt (Abbildung 2). Auf diese Weise verarbeiten neuronale Systeme Information mit hoher Effizienz. In Analogie zum biologischen Vorbild findet auch hier die Informationsverarbeitung und  Speicherung am gleichen Ort mit hoher Energieeffizienz statt.

Memristoren sind keine neue Erfindung. 1971 postulierte Leon Chua den Memristor als das vierte passive Bauelement neben Widerstand, Induktivität und Kapazität [3]. Doch durch die rasante Entwicklung konventioneller Digitaltechnik blieb der Memristor für lange Zeit ein rein theoretisches Konzept. Unbemerkt davon entwickelten sich um die Jahrtausendwende resistiv-schaltende Materialien und Bauelemente als energieeffiziente und sehr gut skalierbare Alternativen zu Flash-Speichern. Führend in der Entwicklung dieser Bauelemente waren insbesondere die Arizona State University (USA) und das National Institute for Materials Science (Japan). Große Aufmerksamkeit erlangten resistive Speicher 2008 durch eine Forschungsarbeit von Hewlett Packard, die erstmalig eine Beziehung zwischen nano-skaligen resistiven Speichern und Memristoren aufzeigte [4]. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stieg das Interesse am Einsatz von memristiven Systemen für Anwendungen im Bereich Deep-Learning, Mustererkennung und Neuromorphik. Heute arbeiten einige hundert Forschungsgruppen weltweit und namhafte Halbleiterhersteller wie Micron, Samsung und Panasonic im Bereich memristiver Systeme und Anwendungen.

Federführend in der Memristor-Forschung in Deutschland ist seit den 2000er Jahren die RWTH Aachen in Kooperation mit dem Forschungszentrum Jülich. Der Gruppe um Rainer Waser gelang es dabei, die grundlegende Funktionsweise memristiver Systeme zu erklären. Diese basiert auf nanoionischen Effekten, also elektrochemischen Phänomenen wie Ionentransport und Nukleation auf der Nanoskala [5]. Als besonders vielversprechend und kompatibel zur etablierten Siliziumtechnologie erweisen sich memristive Systeme auf der Basis von Übergangsmetalloxiden wie Hafniumoxid. Hier können die elektronisch leitfähigen Pfade durch den kontrollierten Transport von Sauerstoffleerstellen in wenigen hundert Pikosekunden gebildet und aufgelöst werden. Die Ruhr-Universität Bochum konnte 2021 in Kooperation mit der Christian-Albrechts-Universität Kiel den DFG Sonderforschungsbereich „Neuroelektronik: Biologisch inspirierte Informationsverarbeitung“ einwerben. Erforscht wird wie mit Hilfe von Memristoren grundlegende biologische Mechanismen durch elektrische Schaltungen nachgebildet werden können. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Plasmaprozessen zur optimierten Herstellung von Memristoren. An der TU Dortmund werden memristive Systeme zunehmend auch für Spezialanwendungen maßgeschneidert. Zum Beispiel können Quantisierungseffekte der elektronisch leitfähigen Pfade für optoelektronische Anwendungen und die nanoionischen Transportvorgänge zur Detektion von Gasen genutzt werden, um neuromorph-programmierbare Gassensoren zu entwickeln.

Referenzen
[1] Di Martino G and Tappertzhofen S 2019 Optically accessible memristive devices Nanophotonics 8 1579–89
[2] Pi S, Li C, Jiang H, Xia W, Xin H, Yang J J and Xia Q 2019 Memristor crossbar arrays with 6-nm half-pitch and 2-nm critical dimension Nat. Nanotechnol. 14 35–9
[3] Chua L O 1971 Memristor—The Missing Circuit Element IEEE Trans. Circuit Theory 18 507–19
[4] Strukov D B, Snider G S, Stewart D R and Williams R S 2008 The missing memristor found Nature 453 80–3
[5] Valov I, Linn E, Tappertzhofen S, Schmelzer S, van den Hurk J, Lentz F and Waser R 2013 Nanobatteries in redox-based resistive switches require extension of memristor theory Nat. Commun. 4 1771

Bilder:
Abbildung 1:  Array-Anordnung aus acht memristiven Elementen auf der Basis von Hafniumoxid (© TU Dortmund).
Abbildung 2: Links: Strom-Spannungs-Hysterese eines Hafniumoxid-basierten memristiven Schalters. Rechts: Beispiel einer STDP-Kennlinie mit typischen Datenpunkten (© TU Dortmund).

Bildergalerie

Quelle: NMWP-Magazin

Technische Universität Dortmund, Lehrstuhl für Mikro- und Nanoelektronik

Der Lehrstuhl für Mikro- und Nanoelektronik befasst sich mit der Herstellung und Charakterisierung neuartiger nanoskaliger und nieder-dimensionaler Materialien, bei denen durch geeignete Strukturierung, eingebaute Defekte oder Heterostrukturen,...mehr...