Stabilität und Mobilität: Zwei Flüssigkeiten sind der Schlüssel
Phasenwechsel-Random-Access-Memory (PC-RAM) ist eine der neuesten und dennoch ausgereiftesten Speichertechnologien, die zur Erreichung höherer, nicht-flüchtiger Speicherdichten, geringeren Energieverbrauchs und verbesserter Skalierungsmöglichkeiten etabliert worden sind.
In PC-RAMs werden Daten durch Wechsel zwischen glasförmigen und kristallinen Materialzuständen bei Anwendung eines Hitzeimpulses geschrieben. Die der hohen Schaltgeschwindigkeit der Phasenwechselmaterialien in den Speicherzellen zu Grunde liegenden Prozesse auf atomarer Ebene sind bislang aber ungeklärt geblieben. Eine mögliche Lösung dieses Rätsels bietet nun eine Studie einer internationalen Forschergruppe, darunter Festkörperphysiker der RWTH Aachen, die in „Science“ veröffentlicht worden ist. Mit einer Kombination aus neuesten ultra-schnellen Röntgenstreuungsmethoden und fortgeschrittener Simulationsmethodik, haben die Wissenschaftler einen Übergang zwischen flüssigen Phasen hoher und niedriger Temperatur in Phasenwechselmaterialien entdeckt und charakterisiert. Ihre Ergebnisse bieten sowohl neue Einblicke in den Prozess der Glasbildung, als auch Möglichkeiten entsprechende Speichertechnologie zu verbessern.
Aus den Elementen Antimon, Tellur und Germanium zusammengesetzte Phasenwechselmaterialien (PCMs, engl. „phase-change materials“) können genutzt werden, um zunehmend größere Mengen an Daten schnell und energieeffizient zu speichern. Sie finden Anwendung zum Beispiel als Ersatz für Flash-Speicher, in fortgeschrittenen DRAM-Speichern mit nicht-flüchtiger Back-Up-Funktionalität, in sogenannten Storage-Class-Speichern und in Embedded-Lösungen, etwa im Automobilbereich. Wenn ein elektrischer oder optischer Impuls angelegt wird, um diese Materialien lokal zu erhitzen, wechseln sie von einem glasförmigen in einen kristallinen Zustand oder umgekehrt. Die beiden Zustände werden elektrisch zwischen logischer „0“ und „1“ unterschieden, entsprechend des hohen Widerstands im amorphen und des geringen Widerstands im kristallinen Zustand. Den diversen Anwendungen und dem enormen Potenzial von PCMs steht jedoch gegenüber, dass es bis heute nicht gelungen ist zu klären, wie die einzigartigen Eigenschaften der PCMs, die schnelle Kristallisation bei moderat hoher Temperatur und die jahrzehntelange Stabilität bei Raumtemperatur des ungeordneten Zustands, auf atomarer Ebene realisiert werden.
Die Experimente und Simulationen, die von der internationalen Forschergruppe hinter dieser Publikation durchgeführt wurden, bieten neue Erkenntnisse auf der mikroskopischen Ebene. In einem Experiment an der Linac Coherent Light Source (LCLS) in Kalifornien sammelten Wissenschaftler vom European XFEL, der Universität Duisburg-Essen und internationale Projektpartner über 10.000 Beugungsbilder aus Femtosekundenröntgenmessungen, die durchgeführt wurden, während die Materialien ihren Zustand änderten. Den Wechsel zwischen kristallinem und glasförmigem Zustand ausgelöst durch einen optischen Laser-Impuls, wurde der Röntgenlaser benutzt, um Bilder der atomaren Struktur während dieses extrem schnell ablaufenden Prozesses aufzunehmen. Die Experimente zeigten, dass, wenn die vom Laser-Hitzeimpuls generierte Hochtemperaturflüssigkeit genügend schnell heruntergekühlt wird, diese in eine strukturell andersartige Niedrigtemperaturflüssigkeit übergeht. Die beiden Flüssigkeiten unterschieden sich ebenso signifikant in ihren kinetischen Eigenschaften.
Simulationen durchgeführt
Am Institut für Theoretische Festkörperphysik der RWTH wurden
Ab-initio-Molekulardynamik(AIMD)-Simulationen durchgeführt, um die
während des schnellen Herunterkühlens auftretenden strukturellen
Veränderungen zu untersuchen. Das vorrangige Ziel dieser Analyse war es,
detaillierte Informationen über die lokalen Strukturmotive zu erhalten
und dabei den für den Flüssig-Flüssig-Übergang verantwortlichen
Mechanismus zu klären. In der Verteilung der sechs nächsten Nachbarn der
Atome, ausgewertet in einer statistischen Analyse der
AIMD-Positionsdaten, fanden die Festkörperphysiker eine deutliche
Aufteilung der atomaren Abstände in zwei Gruppen von drei kurzen und
drei längeren Distanzen. Zusätzlich dazu ausgewertete Korrelationen
zwischen nahezu geradlinig ausgerichteten Dreiergruppen von Atomen
bestätigten, dass die vorgefundene Separation von einer Peierls-artigen
Verzerrung stammt. Diese stellte sich als der dominante Mechanismus des
Flüssig-Flüssig-Übergangs und direkt verbunden mit der Änderung der
kinetischen Eigenschaften heraus. Des Weiteren zeigten die Berechnungen
Veränderungen in den elektronischen Eigenschaften. Die
Hochtemperaturflüssigkeit war signifikant metallischer als diejenige
niedriger Temperatur. Dieser Befund ist konsistent mit der erhöhten
Bindungsstabilität, die spontane Kristallisation aus der amorphen Phase
verhindert. Wie im Experiment beobachtet wurde, zeigte die Flüssigkeit
hoher Temperatur hohe Mobilität, die Kristallisation (wohlgeordnete
Positionierung der Atome im Kristallgitter) ermöglicht, wohingegen in
der Flüssigkeit geringer Temperatur einige Bindungen stärker waren,
konsistent zur reduzierten Mobilität. Im resultierenden glasförmigen
Zustand bleibt die ungeordnete Struktur deshalb erhalten. Entsprechend
der zugeschriebenen physikalischen Prozesse ist der Kreislauf zur
Informationsspeicherung realisiert durch schnelles Herunterkühlen der
Hochtemperaturflüssigkeit, um durch die Niedrigtemperaturflüssigkeit
ohne Kristallisation in den glasförmigen Zustand zu gelangen, Erhaltung
des Glaszustands während der beabsichtigten Speicherdauer und
Kristallisation durch die Hochtemperaturflüssigkeit auf thermische
Anregung hin. Allerdings sind die entscheidenden Eigenschaften der PCMs
nicht lediglich die hohe Mobilität der Flüssigkeit hoher Temperatur, die
schnelle Kristallisation ermöglicht, und die geringe Mobilität der
Flüssigkeit niedriger Temperatur und des Glases, um lange Speicherdauern
zu garantieren bis zu dem Punkt, wo Kristallisation gänzlich ausbleibt.
Vielmehr ist es die einzigartige Aufspaltung in zwei Flüssigkeiten mit
sehr unterschiedlicher Temperaturabhängigkeit der Kinetik, die die
Bereiche stabilen Glases und schneller Kristallisationsfähigkeit
voneinander trennt. Diese Beobachtung, dass PCMs ein stabiles Glas
bilden können, aber gleichzeitig sehr instabil bei gehobenen
Temperaturen werden, war für Jahrzehnte ein Rätsel für die Forschung.
Die Resultate der Studie helfen weiterhin Glasbildung im Allgemeinen besser zu verstehen. Um die physikalischen Prozesse, die während des schnellen Herunterkühlens und der Glasbildung aus einer Hochtemperaturflüssigkeit bei anderen Materialienklassen auftreten, weiter zu erforschen, sind vergleichbare Experimente und Simulationen, am European XFEL und der RWTH Aachen, geplant.
Die veröffentlichte Arbeit war Teil einer internationalen Zusammenarbeit, die Wissenschaftler der RWTH Aachen, des European XFEL, des Forschungszentrum Jülich, des Instituts Laue-Langevin, des Lawrence-Livermore National Laboratory, der Universität Lund, des Paul Scherrer Instituts, des SLAC National Accelerator Laboratory, der Universität Stanford, des Nationalen Spanischen Wissenschaftsrates (CSIC), der Universität Duisburg-Essen und der Universität Potsdam umfasste. Die dazu beitragenden Wissenschaftler der RWTH Aachen sind Mitglieder des Sonderforschungsbereichs SFB 917 „Nanoswitches“, der, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), seit 2011 Erkenntnisgewinn auf dem Gebiet mikroskopischer resistiver Schaltprozesse befördert und noch bis 2023 weitergeführt werden wird.