DeutschEnglish

Wir brauchen innovative Köpfe und innovative Unternehmen.

Der Cluster NMWP.NRW im Gespräch mit Professor Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, über den Leichtbau aus NRW als international anerkannter Enabler zur Lösung Globaler Herausforderungen wie CO2-Reduktion, den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und die Frage, was die Digitalisierung damit zu tun hat.


Herr Professor Pinkwart, Leichtbau wird oftmals als eine „Game-Changer-Technologie“ bezeichnet. Welche Gründe sprechen heute dafür, möglichst leichte Produkte zu entwickeln, zu fertigen und auf den Markt zu bringen?

Das Grundprinzip von Leichtbau ist so einfach wie genial: Durch den Einsatz leichterer Materialien entstehen im Zusammenspiel mit intelligenter Konstruktion innovative Produkte für die Märkte von morgen. Leichtbau verbindet große wirtschaftliche Potentiale mit Ressourcenschutz sowie Material- und Energieeffizienz. Davon profitieren Branchen wie die Luft- und Raumfahrt, die Automobil- und Transportindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau bis hin zur Bau-, Freizeit-, Sportindustrie und Medizintechnik. Leichtbau hilft bereits heute dabei, CO2-Emissionen konsequent zu reduzieren. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zeichnet sich Leichtbau im Zusammenspiel mit anderen Innovationstrends durch erhebliche Problemlösungskompetenzen aus, aktuell beispielsweise besonders im Bereich der industriellen Digitalisierung.

Leistet der Leichtbau aus NRW damit auch einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele und Steigerung der Nachhaltigkeit über die eigenen Grenzen hinaus?

Nordrhein-Westfalen ist das Land der Materialien und Werkstoffe mit mehr als 6.800 werkstoffverarbeitenden und -herstellenden Unternehmen und rund 200 Mrd. Euro Umsatz, darunter zahlreiche Weltmarktführer und Hidden Champions. Sie entwickeln hier Schlüsseltechnologien für die Zukunft des Leichtbaus, wie Werkstoffe und Materialien, Produkte, Produktions- und Konstruktionsverfahren für die Zukunft des Leichtbaus. Dadurch leisten Leichtbautechnologien aus Nordrhein-Westfalen bereits heute weltweit einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Ressourcen- und Energieeffizienz und entfalten ihre Problemlösungskompetenzen zur Verringerung von Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen von Fahrzeugen, Maschinen, Gebäuden und Transportsystemen. Wir müssen unsere Kompetenzen im Leichtbau entschlossen und konsequent ausbauen, um Deutschland und Europa als innovativen Leitanbieter für den werkstoffübergreifenden Leichtbau international zu positionieren, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der klassischen Industriebranchen und den Erhalt von hochwertigen Industriearbeitsplätzen nachhaltig zu sichern und im Zuge der industriellen Digitalisierung marktreife und innovative Produkte zu entwickeln.

Auf welche Anwendungsbereiche wird der Leichtbau Ihrer Meinung nach in Zukunft den größten Einfluss haben?

In der Automobilindustrie und der Luft- und Raumfahrt ist der Leichtbau bereits fest etabliert und ein maßgeblicher Enabler für die Reduktion der CO2-Emissionen bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz. So sind kostengünstige und in industriellem Maßstab nutzbare Leichtbaulösungen Grundlage für die umwelt- und klimaschonende Mobilität der Zukunft. Im Bereich Automotive liegen die Vorteile des Leichtbaus auf der Hand: Das Fahrzeuggewicht verringert sich erheblich. Das ermöglicht eine deutliche Emissionsreduzierung bei gleichzeitiger Erhöhung der Reichweite. Das trägt auch zu einer besseren Fahrdynamik bei. Dies gilt unabhängig von der Antriebstechnik, also für Elektrofahrzeuge, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und sogar für alle eventuellen Zukunftstechnologien, wie z.B. im Bereich Wasserstoff und Brennstoffzellen. Der Erfolg einer Leichtbaulösung am Markt ist dabei aber nicht nur auf das Verhältnis von Werkstoffgewicht zur Festigkeit beschränkt, sondern hängt von vielen weiteren Faktoren ab – beispielsweise von der Recyclebarkeit, der langfristigen Verfügbarkeit, der Energie- beziehungsweise CO2-Gesamtbilanz, der Skalierbarkeit der Fertigungstechnologien auf den Großserieneinsatz. Auch die Gesamtkosten der Leichtbaulösung spielen natürlich eine wesentliche Rolle.

Einiges davon lässt sich in andere Industrien adaptieren, zum Beispiel im Maschinen- und Anlagenbau – wenn sich dadurch die Energieeffizienz und Verfahrensgeschwindigkeit steigern lassen. Auch für die Bauwirtschaft bietet der Leichtbau großes Potential, beispielsweise ermöglicht der Einsatz von textil- bzw. carbonbewehrtem Beton Volumen und Gewicht einzusparen. Moderne Leichtbauwerkstoffe kommen nicht nur in neu errichteten Gebäuden, sondern auch bei der Sanierung von Bestandsgebäuden zum Einsatz. Jeder kennt auch Beispiele aus dem Sport oder aus dem privaten Umfeld: Moderne E-Bikes, Rennräder, Tennisschläger. Leichtbaumaterialien sind schon jetzt allgegenwärtig. Bereiche, in denen sie heute noch nicht präsent sind, werden mit großer Wahrscheinlichkeit bald folgen – dank innovativer Materialien und neuer Produktionsverfahren.

Welchen Vorteil kann die Digitalisierung in Wirtschaft und Wissenschaft in diesem Kontext bringen?

Wie in vielen anderen Bereichen ermöglicht die Digitalisierung auch im Leichtbau innovative Prozesse mit deutlich höherer Effizienz und neuen Produktionsverfahren. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der 3D-Druck. Vor wenigen Jahren wurde er insbesondere zur Herstellung von Prototypen eingesetzt. Mittlerweile kommt das Verfahren bereits in der Serienproduktion für kleinere Stückzahlen zum Einsatz. Gerade entsteht in Nordrhein- Westfalen das erste Wohngebäude aus einem 3D-Drucker. Die Material- und Verarbeitungsqualität vieler 3D-Drucker ist mittlerweile auf einem so hohen Niveau, dass selbst Hochleistungs-Bauteile für den Aerospace-Sektor gedruckt werden können.

Auch in den „klassischen“ Produktionsprozessen ist die Digitalisierung längst angekommen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wird die Vernetzung aller Prozesse immer wichtiger. Möchte man wirklich nachhaltige Innovationen für die Anwendung schaffen, müssen sowohl Soft- als auch Hardware aufeinander abgestimmt und gleichermaßen leistungsfähig sein. Besonders deutlich wird das bei den Sensoren, die die Daten erfassen, um Prozesse digital abzubilden bzw. zu optimieren. „Klassische“ Innovationstechnologien, wie z.B. die Mikro- und Nanosystemtechnik und -elektronik gehen somit Hand in Hand mit der softwareseitigen Digitalisierung.

Wie sehen Sie die Verknüpfung von Leichtbau und KI?

Wesentlich für die zukünftige Entwicklung sind auch die Material- und Bauteilsimulation sowie „Digital Maintenance“, also die digitale Wartung und Instandhaltung. Bereits heute gibt es hier starke Verknüpfungen von Leichtbau und Materialentwicklung mit dem Feld der künstlichen Intelligenz. „Digitale Zwillinge“ simulieren den Verschleiß-Status eines Bauteils digital und revolutionieren so die Wartung, zum Beispiel von Flugzeug-Komponenten. Eine punktgenaue und bedarfsgerechtere digitale Wartung kann die Sicherheit erhöhen und gleichzeitig den dafür erforderlichen Aufwand reduzieren.

Ohne die Simulation von Werkstoffen, Materialien und Prozessen können Sie heute kaum noch wirtschaftlich erfolgreich sein. Besonders in diesem Bereich wird zukünftig das Quantencomputing große Fortschritte möglich machen, denn aktuell werden für die Materialentwicklung nur wenige Elemente des Periodensystems genutzt. Ein Quantencomputer hingegen könnte auf atomarer Ebene komplett neue Materialien konstruieren, die exakt den Anforderungen einer speziellen Anwendung gerecht werden – unter Nutzung des gesamten Periodensystems. Sie sehen, das Potential ist immens. Auch wenn das aktuell noch „Zukunftsmusik“ sein mag, ist Nordrhein-Westfalen auch in diesen Bereichen schon sehr aktiv.

Auch im Bereich der Prozessteuerung sind viele Potentiale für den Einsatz künstlicher Intelligenz zu finden. Prozesse, die – mittels KI – selbstoptimierend auf sich ändernde Werkstoff- und Prozessparameter reagieren, werden hier die Effizienz ganzer Wertschöpfungsketten deutlich steigern.

NRW ist in Bezug auf das Thema Leichtbau sowohl industriell als auch wissenschaftlich sehr gut aufgestellt – sowohl in den Bereichen Materialien und Werkstoffe als auch deren Verarbeitung. Wo sehen Sie die zentralen Herausforderungen für die Zukunft?

Nordrhein-Westfalen ist als Werkstoffland tatsächlich hervorragend aufgestellt. Materialinnovationen „Made in NRW“ zeigen uns schon heute, was bei Recycling und Re-Use möglich ist. Neue Verfahren, wie z.B. die Warm-umformung für den extremen metallischen Leichtbau oder die Entwicklung flammgeschützter Materialien für die Elektromobilität, Bau-, Luft- und Raumfahrt, sowie die Entwicklung künftiger Generationen von Batterie-gehäusen werden wir mit der vorhandenen Man- und Womanpower in unserem Bundesland bewältigen. Hier können wir u.a. mit dem weiteren Ausbau der in Nordrhein-Westfalen vorhandenen Leichtbauzentren bzw. der Kooperationsansätze für eine integrierte Werkstoff-, Prozess- sowie Anwendungsentwicklung neue Lösungen finden.

So geht es auch um Themen wie die CO2-neutrale Stahlherstellung, zum Beispiel unter Verwendung von Wasserstoff als alternative Energiequelle. Nordrhein-Westfalen ist ein hochtechnologisches Industrieland, das am effizientesten und nachhaltigsten globale Herausforderungen wie die Verringerung der CO2-Emission oder die Steigerung der Ressourceneffizienz durch innovative Ansätze erreichen kann.

So sind wir auf allen Ebenen unterwegs, von der Materialerzeugung – auch diese wollen wir CO2-neutral gestalten – über Produktionsverfahren und Recycling hin zu umweltschonenden, klimaneutralen Kreislaufwirtschafts-Prozessen.

Herr Prof. Pinkwart, was wünschen Sie sich in Bezug auf Leichtbau von den Unternehmen und was von der Forschung für die Zukunft?

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen im High-Tech-Bereich ist es oftmals schwer, die passenden Ansprechpartner für Innovationsaktivitäten zu finden. Mein Appell: Nutzen Sie die vorhandenen Netzwerke, um Innovationen mit den richtigen Partnern auf den Weg zu bringen! Neben der exzellenten Industrie- und Forschungslandschaft haben wir in Nordrhein-Westfalen viele hervorragende Netzwerke und Cluster. Die Cluster NanoMikroWerkstoffePhotonik.NRW, automotiveland.nrw, Produktion.NRW und Kunststoffland NRW helfen als Grenzgänger zwischen Wirtschaft und Wissenschaft dabei, den Technologietransfer zu stärken. Die Expertise unserer Industrie und Forschung auf dem Gebiet des Leichtbaus ist international anerkannt. Unsere Spitzenposition und Erfolge sind aber keine Selbstverständlichkeit. Technologietransfer und Innovationen sind ganz wichtige Faktoren: Wir müssen kontinuierlich neues Wissen aufbauen und dieses auch weiterhin in die Märkte transferieren. Es gilt, mit innovativen Materialien, Prozessen und Produkten den Leichtbau der Zukunft zu gestalten. Wir brauchen die innovativen Köpfe, die innovativen Unternehmen. Wir brauchen Start-ups, die trotz aller Widrigkeiten weitermachen und ihre Visionen und Ideen vorantreiben. Wir brauchen die Mutigen, die aus ihrer „Comfort Zone“ herauskommen und etwas Neues wagen.

Herr Professor Pinkwart, Danke für das Gespräch.

Quelle: NMWP-Magazin

Cluster NMWP.NRW

Der Landescluster NanoMikroWerkstoffePhotonik.NRW handelt im öffentlichen Auftrag mit Sitz in Düsseldorf und entstand 2009 im Rahmen der Exzellenzinitiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Stärkung der Position NRWs in den Bereichen...mehr...