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Quantencomputing macht eine Vielzahl neuer Materialien möglich

Leichtbau BW und der Cluster NMWP.NRW im Gespräch mit Professor Dr. Heinz Voggenreiter, Direktor des Instituts für Werkstoff-Forschung sowie des Instituts für Bauweisen- und Strukturtechnologie, beide am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), über Quantum Computing als Gamechanger in der Materialsimulation für den Leichtbau.

Menschen entwickeln Materialien aufgrund ihrer Erfahrung, Quantencomputer können alle Elemente des Periodensystems für mögliche Kombinationen nutzen. Dadurch steigt die Varianz an neuen Materialien deutlich an. Das ist nach Meinung von Professor Dr.-Ing. Heinz Voggenreiter der eine Grund dafür, wie Quantencomputing den Leichtbau voranbringen kann. Der andere ist die stark steigende Qualität in der Simulation von Werkstoffen. „Quantencomputer und die Elemente in einem Material agieren vergleichbar“, sagt Professor Voggenreiter, Direktor des Instituts für Bauweisen und Strukturtechnologie und des Instituts für Werkstoff-Forschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR, im Interview. Für Voggenreiter ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um in das Materialdesign mittels Quantencomputer einzusteigen. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind die Hotspots dafür.

Herr Voggenreiter, man hört immer wieder vom großen Potential des Quantencomputing und die Leichtbau-Community geht davon aus, dass gänzlich neue Materialklassen mittels dieses Supercomputings entwickelt werden können. Wie vage oder wahr ist diese Hoffnung?

Vage war gestern, wahr ist heute. Denn mit zunehmender Leistung der Quantencomputer und deren Stabilität konkretisiert sich derzeit der praktische Nutzen dieser Technologie heraus. Wir sollten nicht mehr darüber philosophieren, sondern jetzt damit anfangen, Quantencomputer für die Materialforschung zu nutzen. Der Zeitpunkt für den Einstieg ist gekommen.

Quantencomputer können Moleküle simulieren. Macht diese Möglichkeit die Technologie so interessant für das Materialdesign?

Genau das ist der Grund. Das Zusammenwirken der Recheneinheiten Qubits im Quantencomputing ist sehr ähnlich dem Zusammenwirken von Atomen und Molekülen in einem Material. Quantencomputer und Material agieren vergleichbar. Deshalb ist es naheliegend, ein Materialproblem durch die Übersetzung in den Algorithmus einer Software von einem Quantencomputer lösen zu lassen.

Was unterscheidet Quantencomputer von herkömmlichen Rechnern in der Simulation von Materialen und worin besteht aus Ihrer Sicht die Besonderheit dieser Technologie?

Quantencomputer rechnen mit Qubits, das sind alle Werte zwischen 0 und 1, also viel mehr als herkömmliche Computer, die lediglich die beiden Zustände 0 und 1 kennen. Qubits führen eine Fernbeziehung auf Quantenebene, sie stehen in Kontakt zueinander. Diese physische Verschaltung macht hochgradig paralleles Rechnen möglich. Hochleistungsrechner arbeiten Schritt für Schritt sequentiell eine Aufgabe ab, Quantencomputer parallelisieren Rechnerschritte. Das macht sie deutlich schneller und wesentlich leistungsfähiger als andere Rechnertechnologien.

Gibt es neben der Materialsimulation weitere Einsatzmöglichkeiten für das Quantencomputing im Leichtbau und wie bringt die Technologie die Branche mit diesen Anwendungen weiter?

Im Leichtbau gibt es zwei Ebenen, an die wir Quantencomputing adressieren können. Das eine ist die Materialsimulation selbst. Hier kann man über diese Technologie zum einen die Simulationsqualität steigern, etwa ein Material auf atomarer Ebene am Bildschirm designen und das mit einer sehr hohen Qualität. Die andere Ebene erweitert unsere Erfahrungswelt, aus der heraus wir Materialien entwickeln. Wenn heute jemand einen neuen Leichtbauwerkstoff entwickeln möchte, macht das ein Aluminium- oder Titanspezialist. Alle Menschen neigen dazu, neue Lösungen in alten Erfahrungen zu finden. Der Quantencomputer erlaubt uns quer durch unser Periodensystem hindurch zu simulieren, welche Materialkombination für diesen Fall die beste ist. Die Technologie kann Millionen Varianten durchspielen, die wir mit unserer Art, wie wir heute simulieren, nicht einmal ansatzweise schaffen. Die Bandbreite an möglichen neuen Materialien steigt durch Quantencomputing deutlich an.

Wann können Unternehmen erste Materialsimulationen mittels Quantencomputing machen?

Es gibt heute schon Start-ups, die sich aus Forschungseinrichtungen ausgegründet haben und dies als Dienstleistung anbieten. In Deutschland ist das eine Ausgründung aus dem KIT mit Firmennamen Heisenberg Quantum Simulations. Das junge Unternehmen entwickelt Quantenalgorithmen zur Voraussage von Moleküleigenschaften für die Chemie- und Pharmaindustrie, mit der sich Simulationsergebnisse deutlich verbessern lassen gegenüber herkömmlichen Methoden. Auch die Firma 1Qbit in Vancouver in Kanada geht diesen Weg und verschaltet die Welt der Materialien mit der des Quantencomputings, um Materialprobleme zu simulieren. Zurzeit fokussiert sich das in Richtung neuer Materialen für Batterien.

Quantencomputing scheint komplex, sind die Rechenergebnisse für Unternehmen sehr teuer?

Wir stehen erst am Anfang, daher sind solche Dienste ziemlich teuer. Zumal auch mit einer schier unvorstellbaren Datenmenge umgegangen wird. Die Daten müssen organisiert, deren Qualität bewertet werden. All das führt dazu, dass Quantencomputing heute noch aufwendig und komplex ist und daher viel Geld kostet. Es macht daher keinen Sinn, sich als Unternehmen aus dem Leichtbau einen Quantencomputer zu kaufen in der Hoffnung, besser als der Wettbewerb zu sein.

Sie haben von zwei Startups gesprochen, die Quantencomputing als Dienstleistung anbieten. Ist das der richtige Weg für Unternehmen aus dem Leichtbau, um die Technologie zu nutzen?

Der Königsweg führt über die Forschungseinrichtungen in Deutschland. Denn die quantenbasierte Materialforschung ist noch so forschungsintensiv, dass es keinen Sinn macht, für einzelne Projekte aktiv zu werden. Am besten für Firmen ist es, wenn die sich in bestehende Forschungsverbünde einklinken. Einen solches wird es bald vom Fraunhofer-Institut im Zusammenspiel mit IBM geben in Ehningen bei Stuttgart. Ein anderer Forschungsverbund gründet sich demnächst am Forschungszentrum Jülich, wo die Quantencomputer von D-Wave stammen. An beiden Standorten entstehen rund um die unterschiedlichen Quantencomputertypen zur Technologie passende Forschungsverbünde. Unternehmen können sich dort mit Use-Cases einbringen, etwa mit der Entwicklung einer neuen Legierung für den Leichtbau und der Fragestellung: was können wir dafür auf der Computerseite tun, um in der digitalen Materialentwicklung schneller und besser zu werden? In den Verbünden können die Unternehmen darauf Antworten finden, weil dort die Experten sind.

Ist der Aufbau von Forschungsverbünden das nächste Ziel, das Deutschland hinsichtlich der Materialsimulation mit Quantencomputern erreichen sollte, um die Technologie in der Praxis nutzen zu können?

Ja. Zunächst müssen die Plattformen aufgebaut werden, damit sich im zweiten Schritt Unternehmen mit ihren Anwendungsfällen einbringen und man gemeinsam möglichst schnell versucht, Ergebnisse in der Industrie nutzbar zu machen. Ich denke, dass die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft der richtige Weg ist, weil die Forscher verstehen müssen, was die Industrie braucht. Das müssen wir in unsere Forschungsarbeit einfließen lassen um letztendlich eine Lösung zu finden, die wirklich hilft. Es ist für Deutschland als rohstoffarmes Land besonders wichtig, schneller und in besserer Qualität Werkstoffe für unsere Produkte zu entwickeln. Das würde unsere Wettbewerbsposition stärken.

Welche Rollen spielen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf diesem Weg und wie ist die Ausgangslage dafür in diesen beiden Bundesländern?

Die beiden Länder spielen in Kombination eine entscheidende Rolle in der Materialentwicklung mittels Quantencomputer und aufgrund deren besonderer Bedingungen in den Bundesländern ist die Ausgangs-lage dafür gut. Dies hat den einfachen Hintergrund, dass in den Ländern starke Leichtbau-Netzwerke bestehen, die seit Jahren erfolgreich operieren. In NRW ist es das Cluster NanoMikroWerkstoffePhotonik.NRW und in Baden-Württemberg die Leichtbau BW. In Nordrhein-Westfalen ist der Hotspot für die Materialforschung in Deutschland und in Baden-Württemberg sitzen die Firmen, die Forschungsergebnisse in Leichtbauweisen umsetzen können. Ich sehe darin das richtige Zusammenspiel passender Partner entlang der Prozesskette vom Labor in die Fabrik. In beiden Ländern sitzen zudem die maßgeblichen Treiber des Quantencomputing in Deutschland. Allen voran das Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg das KIT in Karlsruhe. Ich denke daher: besser kann die Konstellation für Materialdesign durch Quantencomputing nicht sein. Im Juni letzten Jahres haben wir vom DLR ein erstes Organisationstreffen mit den Schlüsselpartnern aus Wirtschaft und Wissenschaft organisiert. Daraus wurden Handlungsstränge für einen Dialog mit der Politik abgeleitet, um Förderprogramme für quantencomputerbasierte Materialforschung aufzubauen. Ein erstes Programm wird schon im Herbst dieses Jahres aufgelegt werden.

Herr Professor Voggenreiter, danke für das Gespräch.

Quelle: NMWP-Magazin

Cluster NMWP.NRW

Der Landescluster NanoMikroWerkstoffePhotonik.NRW handelt im öffentlichen Auftrag mit Sitz in Düsseldorf und entstand 2009 im Rahmen der Exzellenzinitiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Stärkung der Position NRWs in den Bereichen...mehr...