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Mit innovativen Impulsen aus NRW zu einer nachhaltigen Wirtschaft.

NMWP.NRW im Gespräch mit Professor Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen über die Rolle der Schlüsseltechnologien für die Circular Economy und die daraus resultierenden Chancen für den Wirtschaftsstandort NRW.

NMWP.NRW: Herr Professor Dr. Pinkwart, woran denken Sie, wenn Sie den Begriff „Kreislaufwirtschaft“ hören?

Professor Dr. Andreas Pinkwart: Das Thema Kreislaufwirtschaft oder auch Circular Economy hat in Nordrhein-Westfalen vor allem für die Industrie eine große Bedeutung. Die weltweiten Wirtschaftssysteme sind seit jeher linear aufgebaut. Auch wenn man die Effizienz immer weiter erhöht und den Ausschuss in Form von Verschnitt oder Produktionsresten in jeglicher Form verringert, gibt es an unendlich vielen Stellen Verluste. Die zirkuläre Wertschöpfung setzt genau hier an: Wir wollen Produkte und Prozesse verstärkt im Kreislauf führen, um diese Verluste zu minimieren bzw. gänzlich aufzuheben. Im Idealfall benötigen wir keinerlei neue Rohstoffe und Materialien mehr, sondern nutzen dieselben Rohstoffe und Materialien immer wieder neu, in einem dauerhaften Kreislauf. Das erfordert oft ein völlig neues Produktdesign, neue Werkstoffe und Verfahren sowie Geschäftsmodelle, die das Ende des Lebenszyklus der Produkte direkt mitdenken.

Am 29. Juli 2021 war der diesjährige Erdüberlastungstag – an dem Tag haben wir unser weltweites jährliches „Ressourceneinkommen“ bereits aufgebraucht. Wie groß schätzen Sie hierbei den Einfluss der Pandemie ein?

Die Pandemie hat die internationalen Lieferketten durcheinandergewirbelt und teils zum Erliegen gebracht. Mit dem Wiederanfahren der weltweiten Wirtschaft sind Rohstoffe und Materialen nun deutlich teuer und teilweise gar nicht verfügbar, sodass unsere Industrie nur schwer die hohe Nachfrage bedienen kann. Die fehlenden Materialien haben in nahezu allen Branchen – von der Bauindustrie bis hin zur Automobilindustrie – zu Lieferengpässen und massiven Preissteigerungen geführt. Beispielsweise fehlen Aluminium, Stahl, Dämmstoffe, Verpackungsmaterial, Lacke oder Holz. Auch High-Tech Rohstoffe, wie Silizium für die Chipherstellung, sind massiv betroffen. Der Preis hatte sich zwischenzeitlich sogar vervierfacht. Auch wenn viele Preissteigerungen nur Momentaufnahmen sind, steht fest: Viele Rohstoffe bleiben auf absehbare Zeit erstmal knapp, weil Förderkapazitäten nicht so schnell erschlossen werden können oder erschöpft sind. Der Trend geht daher klar zu deutlich höheren Preisen. Dies erhöht die Notwendigkeit und die Rentabilität der Circular Economy umso mehr, wie auch eine aktuelle Studie belegt, die das RWI für uns erstellt hat. Die Pandemie ist sicherlich ein starker Beschleuniger für diesen Effekt gewesen, aber nicht die einzige Ursache.

Die Circular Economy ist ein Konzept, welches für alle Sektoren relevant ist. Dennoch wird sie oft im Allgemeinen mit Abfallmanagement und Recycling in Verbindung gebracht. Wie können wir die Circular Economy nutzen, um unsere Industrie und die Gesellschaft nachhaltig zu transformieren?

Die Zauberformel der zirkulären Wertschöpfung heißt: Reuse, Refurbish, Remanufacture, Reassemble, Reactivate, Recycle, Refuse – und schließlich „Re-Think“. Sie sehen: Das Recycling macht hier nur einen kleinen Teil aus. Wichtig ist vor allem das „Rethink“, also die Bereitschaft, Produktion und Gebrauch eines Produktes komplett neu zu denken und zu hinterfragen. Die Circular Economy ist deshalb für uns vor allem auch ein industriepolitisches Innovationsprogramm. Wenn wir hier erfolgreich sein wollen, brauchen wir eine Kombination von ganz unterschiedlichen Ansätzen, die zum Erfolg führen.

Mit Blick auf den Rohstoffeinsatz bei der Primärproduktion ist die hochwertige Wiederverwendung von Rohstoffen und Materialien kein einfaches „Add-On“. Wir müssen auch produktseitig, im Produktionsprozess und der Produktverwendung die nötigen Voraussetzungen schaffen, damit beispielsweise die Sammelquote von ausrangierten Produkten erhöht wird. Kritische, nicht recyclebare Materialien sollten vermieden werden und Produkte so aufgebaut sein, dass sie leicht repariert und demontiert werden können. Eine speziell auf den Materialkreislauf ausgelegte Konstruktion der Produkte verringert darüber hinaus auch das Downcycling von Materialien. Die „Produktnachhaltigkeit“ hat also viele Facetten und setzt neben der Reduktion bei der Energie- und Materialproduktion auch einen Schwerpunkt auf soziale Akzeptanz. Manche Produkte sind ungewohnt und stoßen vielleicht auf Vorbehalte, zum Beispiel, wenn Bauteile aus anderen Produktserien verwendet oder wenn Altgeräte „refurbished“ werden.

Letztendlich entstehen komplett neue zirkuläre Geschäftsmodelle. Die längere Lebensdauer und gemeinsame Nutzung eines Produkts durch Käufergemeinschaften kann neue produktive Dienstleistungsmodelle hervorbringen. In Summe benötigen wir also weniger Rohstoffe und Materialien und optimieren die Auslastung der Endprodukte. Zirkuläre Geschäftsmodelle können ungeahnte Symbiosen zwischen verschiedensten Industrien zur Folge haben und neue Märkte erschließen.

NRW ist DER Werkstoff- und High-Tech-Hotspot Europas, in welchem die Zirkuläre Wertschöpfung voraus-gedacht wird, in welchem viele Impulse entstehen und umgesetzt werden. Welchen Stellenwert haben Schlüsseltechnologien wie die Nanotechnologie, die Mikrosystemtechnik, die optischen und die Quantentechnologien und die Neuen Materialien Ihrer Meinung nach für die Circular Economy?

An Werkstoffen und High-Tech kommt in der zirkulären Wertschöpfung niemand vorbei. Daher nehmen die Innovationen aus Nordrhein-Westfalen auf dem Weg zu einer Circular Economy eine sehr wichtige Position ein – und das auf ganz unterschiedlichen Ebenen.

Wie bereits erwähnt, geht es hierbei nicht nur um die Recyclingfähigkeit eines einzelnen Werkstoffs. Viele eng miteinander verzahnte Wertschöpfungsketten müssen aufeinander abgeglichen und optimiert werden. Aus der Stahlindustrie werden beispielsweise viele Nebenprodukte in anderen Branchen, wie der Bau- und Zementindustrie, als wichtige Rohstoffe eingesetzt. Bei der Weiterentwicklung der Circular Economy müssen also alle relevanten Wertschöpfungsketten gleichzeitig betrachtet werden. Neben der Optimierung von Wertschöpfungsketten in der Circular Economy hat auch die Nachhaltigkeit in Nordrhein-Westfalen einen hohen Stellenwert. So sind die nordrhein-westfälischen Material- und Werkstofferzeuger nicht nur intensiv mit der Circular Economy beschäftigt, sondern stellen ihre Prozesse auch auf klimafreundliche Verfahren um. Denn ein geschlossener Material-Kreislauf ist ein wichtiger Bestandteil für den effizienten Umgang mit Energie. Wussten Sie zum Beispiel, dass der Energieeinsatz für das Recycling von Aluminium im Vergleich zur Herstellung von Primäraluminium bis zu 95 Prozent niedriger ist? Dies ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Circular Economy Energie spart und den Ausstoß von CO 2 senken kann.

Damit in der Circular Economy der Wert von Produkten, Materialen und Ressourcen so lange wie möglich erhalten bleibt und Abfall minimiert wird, brauchen wir neue innovative Impulse aus Schlüsseltechnologien, wie der Robotik oder der künstlichen Intelligenz, insbesondere im Bereich der energieintensiven Industrien. Beispielsweise wäre eine smarte Fabrik ohne Sensorik kaum vorstellbar. Hierfür liefern die Nano- und Mikroelektronik, aber auch die Photonik die technologische Grundlage. Sie erhöhen die Effizienz der elektronischen Bauteile, und verringern den benötigten Materialeinsatz.

Gehen wir noch einen Schritt zurück: Führende Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen nutzen bereits heute die Chancen der Materialentwicklung mittels „ICME“, dem sogenannten „Integrated Computational Materials Engineering“. Hier werden die kreislaufwirtschaftlichen Anforderungen an die Materialien von Anfang an mitgedacht und deren Herstellung dabei ressourceneffizienter und nachhaltiger. Die Zahl der Experimente, die bei der Materialentwicklung real durchgeführt werden muss, wird auf ein notwendiges Minimum reduziert. Mit „ICMME“ kommt dann im nächsten Schritt das „Manufacturing“, also die Entwicklung eines Verarbeitungsprozesses für das neue Material, hinzu. Das alles reduziert den Materialaufwand, steigert die Effizienz und liefert wichtige Impulse für die Circular Economy. Gänzlich neue Potenziale wird dabei voraussichtlich das Quantencomputing erschließen und die Material- und Prozesssimulationen auf ein neues Level heben.

Denken Sie an den 3D-Druck: Er revolutioniert schon heute die Produktion in vielen Industrien. Hier haben wir in Nordrhein-Westfalen eine exzellente Expertise. Schlüsseltechnologien liefern auch hier zahlreiche Impulse, den 3D-Druck – je nach Einsatzgebiet – als Teil eines Kreislaufs einzusetzen.

Im Bereich der Photovoltaik machen wir nicht nur in der Steigerung des Wirkungsgrades international große Fortschritte. Auch bei der Verbesserung der Materialeigenschaften und der Stabilität liefert Nordrhein-Westfalen innovatives Know-how. Damit kommen wir unseren ambitionierten Klimaschutzzielen näher und erschließen gleichzeitig neue Materialien für die Circular Economy.

Im Kontext der Elektromobilität nimmt die Batterietechnik einen hohen Stellenwert ein. Auch hier müssen die verwendeten Materialien am Ende des Produktlebens möglichst vollständig wieder zurückgewonnen werden können. Die in Münster entstehende „Forschungsfertigung Batteriezelle“ leistet hier wichtige Arbeit – nicht zuletzt mit dem Entwicklungsstandort für Batterie-Recycling, den wir auf dem bisherigen Zechengelände in Ibbenbüren ansiedeln konnten.

Auf der anderen Seite ist die Circular Economy für manche neuen Materialien oder auch die Nano- und Mikroelektronik noch eine Herausforderung, an deren Lösung die Industrie- und Forschungslandschaft in Nordrhein-Westfalen schon fleißig arbeitet. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unserem Know-how und der Expertise auch modernste High-Tech-Werkstoffe für die Circular Economy von Morgen erschließen können.

Wie sehen Sie die Impulse aus der Wissenschaftslandschaft Nordrhein-Westfalens?

Die Impulse aus der Wissenschaft sind sehr vielfältig, viele verschiedene Fachrichtungen greifen das Thema auf und forschen. Es werden Produktionsprozesse analysiert, Materialien entwickelt und komplette Wertschöpfungsketten optimiert. Auf der anderen Seite muss die Akzeptanz der Gesellschaft erhöht und Vorbehalte gegenüber der Circular Economy abgebaut werden.

Die besondere Herausforderung liegt darin, dass im Grunde genommen sämtliche Fachrichtungen vernetzt zusammenarbeiten müssen, wenn wir das Konzept der Circular Economy vollumfänglich umsetzen wollen. Zu diesem Zweck gibt es an der RWTH Aachen zum

Beispiel ein Circular Economy Center. Es bündelt die Expertise sämtlicher relevanten Fakultäten und ist ein kompetenter Ansprechpartner für Anfragen, zum Beispiel aus der Industrie.

Wo sehen Sie Potentiale, die Circular Economy mehr in NRW zu etablieren? Was können wir besser machen? Was interessiert Sie hier besonders?

Gemeinsam mit der Industrie und der Wissenschaft haben wir in Nordrhein-Westfalen schon einiges erreicht. Die Circular Economy ist ein wichtiger Bestandteil unseres industriepolitischen Leitbildes und in den großen Förderprogrammen des Strukturwandels im Rheinischen Revier und in der Steinkohleregion ebenso verankert wie im neuen EFRE-Programm. Wir wissen, dass es in den Innovationsstrategien von Unternehmen ein wichtiges Thema ist, genauso wie in der Wissenschaft. Viele Hochschulen richten Forschungsschwerpunkte zur Circular Economy ein.

Mit Blick auf die großen Herausforderungen und den starken branchen- und disziplinenübergreifenden Charakter sehe ich einen besonderen Handlungsbedarf in der Vernetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure in den Wertschöpfungskreisläufen. Es freut mich daher sehr, dass das Landescluster NMWP.NRW das Thema der Circular Economy aufgegriffen hat und die Kompetenzen verschiedenster Fachrichtungen erfolgreich zusammenbringt. Will man ein bestmögliches Ergebnis erzielen, müssen zu vielen Fragestellungen plötzlich Ingenieure mit Biologen und Chemikern zusammenarbeiten. Das überfordert manche Akteure und ist gleichzeitig genau der Anknüpfungspunkt von Clustern: Hier kommen Kompetenzen aus den Schlüsseltechnologien, aber auch aus weiteren Technologie- und Anwendungsfeldern zusammen – sowohl aus der Wirtschaft als auch aus der Wissenschaft. Das Cluster kann auf ein exzellentes Industrienetzwerk zurückgreifen, in dem Entwickler und Anwender gemeinsam Lösungsansätze entwickeln. Die sinnvolle Vernetzung geht dabei immer mit den Zielen des Technologietransfers und der Innovationsförderung einher. Durch clusterübergreifende Zusammenarbeit hat das Cluster eine Bandbreite, wie sie für ein KMU nur schwer erreichbar ist.

Sie sehen: Wir haben noch viel Arbeit vor uns, denn die vollumfängliche Umsetzung der Circular Economy ist ein vielschichtiger Prozess. Hier stehen nicht nur die Wirtschaft und Wissenschaft in der Pflicht, sondern die gesamte Gesellschaft.

Quelle: NMWP-Magazin

Cluster NMWP.NRW

Der Landescluster NanoMikroWerkstoffePhotonik.NRW handelt im öffentlichen Auftrag mit Sitz in Düsseldorf und entstand 2009 im Rahmen der Exzellenzinitiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Stärkung der Position NRWs in den Bereichen...mehr...