Chiptechnologie und Digitalisierung sind wichtige Impulsgeber für aktuelle Herausforderungen
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NMWP.NRW im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Peter Burggräf, Lehrstuhlinhaber International Production Engineering and Management (IPEM, Universität Siegen), Geschäftsführer DRIVE Consulting GmbH und Lehrbeauftragter des RWTH Aachen Werkzeugmaschinenlabors WZL über Digitalisierung, Produktionstechnologien und Halbleiter als Impulsgeber für Transformation und die Mobilitätswende.
Wir sind heute bei Ihnen in Südwestfalen, einer der wirtschaftlich gesehen wichtigsten Regionen in Deutschland und – nach eigener Aussage – Nummer eins in NRW. Was macht diese Region so besonders?
Was diese Region so besonders macht, das sind vor allem die familiengeführten Unternehmen. Wir haben hier zahlreiche „Hidden Champions“. Diese Unternehmen sind vielleicht der allgemeinen Bevölkerung nicht so bekannt, aber im technologischen Umfeld sind sie dennoch oft Weltmarkt- oder Technologieführer. Das hat diese Region in den letzten 150 Jahren geprägt und ist die Grundlage dafür, dass diese Region so wirtschaftsstark ist.
Inwiefern trifft das auch auf die Location des Campus Buschhütten zu?
Was hier besonders ist, ist die Geschichte. Wir sitzen hier in einem Gebäude, das über 150 Jahre Geschichte hat. Diese hat im Prinzip mit der „Industrie 1.0“, sprich der Industrialisierung, begonnen und man kann am Gebäude die unterschiedlichen Entwicklungen erkennen. Die Stahlstruktur, die hier verwendet worden ist, ist aus einer Zeit, wo der Stahl gerade erst erfunden wurde. Als wir den Umbau geplant haben, hat der Statiker uns gefragt, welcher Stahl hier verbaut worden sei. Wir haben St37 vermutet, ein Standard-Stahl, wie man ihn heute in der Baubranche und im Maschinenbau verwendet. Der Statiker hat recherchiert und festgestellt, dass der St37 damals noch gar nicht erfunden war. Die industrielle Entwicklung hat hier also schon sehr früh begonnen, das bedeutet aber nicht, dass die Region in der Zeit gefangen ist. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten gelernt, sich immer wieder an neue Anforderungen anzupassen. Genau das findet jetzt auch am Campus Buschhütten statt. Der Standort soll die Digitalisierung der Produktion beflügeln und der „Place-to-be“ sein für alle, die daran interessiert sind. Das zeichnet auch die Region aus, dass man sehr viel Energie und Motivation hat, sich immer wieder mit neuen Themen auseinanderzusetzen und positiv in die Zukunft zu schauen. Genau das macht die Unternehmen auch sehr widerstandsfähig. Ich bin sehr gerne hier. Ich bin kein gebürtiger Süd-westfale, sondern habe mich über die Universität hier eingefunden. Ich bin immer wieder fasziniert von den großartigen Unternehmen mit ihren tollen Geschichten und Persönlichkeiten, die man hier findet.
Ein wichtiges Thema der aktuellen Wirtschaftspolitik ist die Transformation. Welche Transformationsthemen – Sie haben gerade festgestellt, dass sich die Wirtschaft in dieser Region immer wieder neu erfindet – sehen Sie in Südwestfalen, aber auch mit Blick auf die Wirtschaft Nordrhein-Westfalens?
Ich denke, die wichtigste Transformation, die wir alle – auch im persönlichen Umfeld – momentan erleben, ist die Digitalisierung. Wobei mir der Begriff „Transformation“ hier nicht so gut gefällt, denn er wirkt so, als sei die Digitalisierung ein abgeschlossenes Projekt. So, als müsste man einmal digitalisieren und hätte es dann geschafft. In meinem Verständnis bedeutet Digitalisierung, dass wir mit einer Technologie zu tun haben, die sich exponentiell schnell weiterentwickelt und wir noch am Anfang der eigentlichen Veränderung stehen. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich diese Entwicklung entschleunigt, sondern ganz im Gegenteil: Wir sehen viele Dinge, die sich deutlich beschleunigt weiterentwickeln. Das führt natürlich dazu, dass die Industrie mit dieser neuen Technologie umzugehen lernen muss. Sie muss sie in die eigenen Produktionsprozesse integrieren, dadurch intelligenter und leistungsfähiger werden, die neue Technologie aber gleichzeitig auch in die Produkte und Services für ihre Kunden integrieren. Dieser Prozess ist eine große Transformation, da er natürlich andere Kompetenzen erforderlich macht. Ebenso andere Denkweisen, die wir vielleicht noch nicht besitzen und die wir uns aneignen müssen.
Lieber Herr Professor Burggräf, Sie sind Inhaber des Lehrstuhls für International Production Engineering and Management an der Universität Siegen und beschäftigen sich täglich mit neuen Themen in der Produktionstechnologie. Was ist derzeit der größte Trend und was vielleicht der größte Hype?
Es gibt in der Produktionstechnik an sich sehr viele Innovationen, die vielleicht nicht revolutionären Charakter haben, sondern evolutionär jeweils eine Weiterentwicklung darstellen. Das sind neue Materialien, das sind höhere Genauigkeiten, aber auch in der Qualitätssicherung neue Verfahren, um besser zu prüfen und zu testen. Man darf diese Produktivitätssteigerungen oder Veränderungen nicht unterschätzen; selbst, wenn dies keine revolutionären Veränderungen sind, sind sie sehr wichtig. Selbst wenn ihr Unternehmen jedes Jahr nur drei Prozent besser wird in einer Technologie, stellen sich bei kontinuierlicher Wiederholung große Erfolge ein. Ich glaube beispielsweise auch nicht, dass der 3D-Druck oder das Thema „Additive Fertigung“ grundsätzlich sehr viel Potential haben, Dinge zu revolutionieren. Sie haben sicherlich einen ganz wertvollen Platz an sehr vielen Stellen; auch der Umfang und der Einsatzbereich der additiven Fertigung wird sich sicherlich immer weiter erweitern. Aber auch hier ist es meines Erachtens eher ein gradueller Prozess. Ich sehe die wirklich revolutionären Veränderungen in der Produktion in den unterstützenden Prozessen. Während wir in den 50er und 60er Jahren damit angefangen haben, die Produktion zu automatisieren – durch Robotik, durch Automatisierungstechnik – beginnt heute die Automatisierung der indirekten Prozesse, also im Bestellwesen, in der Logistik,in der Arbeitsvorbereitung und in der Prozessplanung. Dort sehe ich aktuell eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese Prozesse durch künstliche Intelligenz im weitesten Sinne substituiert werden, sodass der Mensch dort nicht mehr notwendig ist, sondern dass letztendlich der Computer dies übernehmen wird.
…und dass sich dadurch Prozesse zusammenlegen lassen. Wird nun zum Beispiel ein Auftrag erteilt, gehen die für den Auftrag relevanten Informationen automatisiert an das Management, an die Buchhaltung, aber auch an die Logistik und die Produktionsplanung.
Ja. Im Prinzip kann man der These folgen, dass es letztendlich nichts mehr gibt, was der Mensch grundsätzlich besser machen könnte als der Computer. Relevant ist hier eher die Frage der Kosten. Ist der Computer günstiger oder der Mensch? Natürlich ist der Mensch an manchen Stellen flexibler, er ist zum Beispiel selbst in der Lage zum Telefonhörer zu greifen und jemanden nach Informationen zu fragen. Das ist heute bei IT-Systemen nicht so leicht bis unmöglich. Die Informationsversorgung ist erstmal begrenzt und wenig flexibel. So ähnlich ist es ja auch in der Produktion mit der Automatisierung. Ein Roboter kann eine Standardaufgabe wiederholt umsetzen und hat Vorteile. Bei einer flexiblen Aufgabe ist der Mensch im Vorteil. Aber da sieht man ja auch eine Entwicklung. Es gibt jetzt „Cobots“, die auch flexibler werden, die weniger Programmieraufwand haben, die einen höheren Autonomiegrad haben. Das, was wir in der Automatisierungstechnik sehen, wird sich genauso auch auf die Planungs- und Verwaltungstätigkeiten ausweiten. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir es zunehmend mit dem Computer zu tun haben werden, auch im Management. Da ist, glaube ich, die größte Veränderung zu erwarten.
Dennoch macht uns diese Entwicklung nicht überflüssig, sondern dient unserer Entlastung. Durch diese Art der Unterstützung bleibt mehr Zeit für andere Dinge…
…für alle wichtigen Dinge, für die jetzt die Zeit fehlt. Es gibt, glaube ich, keinen Manager, der nicht darüber klagt, dass die To-Do-Liste zu lang ist, dass man vielen Dinge gerne machen würde, zu denen Zeit fehlt.
Genau. Und das ist der wichtige Punkt: Gerade bei den Digitalisierungsthemen geht es nicht darum jemanden zu ersetzen, sondern das „Entlasten“ steht im Fokus.
Zu entlasten, auch zu unterstützen. Wir dürfen auch nicht unterschätzen, dass nach wie vor Burn-out die häufigste Ausfallwahrscheinlichkeit ist in unserem Berufs-umfeld. Auch da kann eine Entlastung durch den Computer – wenn sie gut gemacht ist – unterstützen und helfen und vielleicht sogar Frühwarnsignale erkennen. Ich bin dem überhaupt nicht pessimistisch gegenüber eingestellt. Ich sehe die Digitalisierung auch nicht als Job-Killer, sondern als Lösungsbeitrag, um die großen Herausforderungen, die bestehen, überhaupt erst anzugehen. Wir reden oft über die Bürokratie, die wir haben. Dass die Planungsprozesse zum Beispiel zu lange dauern. Wir schieben hier die Schuld auf die Behörden und die öffentliche Verwaltung. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es in den Unternehmen in Deutschland nicht unbedingt anders. Da haben wir die gleichen Herausforderungen. Wenn es uns gelingt durch die Digitalisierung diese Prozesse schneller voranzubringen, dann können wir damit natürlich auch die jetzt anstehende Transformation zur ökologischen Wirtschaft schneller umsetzen. Wir können die Probleme unserer Zeit nicht mit den Mitteln der Vergangenheit lösen, sondern wir brauchen dafür neue Werkzeuge. Hier liegt die Künstliche Intelligenz ganz weit vorne.
Die KI ist sicherlich auch für das kommende Thema ein wichtiger Punkt: Welche Technologien sehen Sie als besonders wichtige Impulsgeber für das Automobil der Zukunft an?
Ganz wesentlicher Impulsgeber für das Automobil der Zukunft ist die Chiptechnologie. Die Kunden werden sich in Zukunft vor allen Dingen für ein Fahrzeug entscheiden, welches ihnen im Fahrraum möglichst viel Spaß macht, für Unterhaltung sorgt und Vernetzung ins Leben außerhalb des Fahrzeuges ermöglicht. Dafür brauchen wir eine neue Fahrzeuginfrastruktur, eine neue Fahrzeugelektronik, die letztendlich neue Halbleitertechnologie erforderlich macht, da sich die Anwendung von Halbleitern im Fahrzeug ändern wird. Das machen einige Automobilhersteller schon vor. Tesla beispielsweise ist sehr aktiv in der eigenen Entwicklung von Halbleitern, insbesondere im Themenfeld des autonomen Fahrens. Ich denke, dass die Halbleitertechnologie bei vielen Automobilherstellern bisher nicht so sehr auf der Agenda stand, bei Steuergeräten hat man sich zum Beispiel sehr auf die Technologien der Zulieferer konzentriert. Beim autonomen Fahren glaube ich, dass es einen großen Vorteil für die Kunden darstellt. Daher lohnt sich der Aufbau entsprechender Kompetenzen bei den Automobilherstellern als Zukunftsinvestition, auch wenn es technisch sehr anspruchsvoll ist und wir noch einige Jahre brauchen werden, bis die Technologie den Erwartungen entspricht, die wir an autonomes Fahren stellen. Ich bin absolut davon überzeugt, dass dies eine sehr große Zahlungsbereitschaft bei den Kunden auslösen wird.
Das zeigt schon der heutige Stand der Technik. Auffahrkontrollen erhöhen – zum Beispiel in Rückstaus – nicht nur den Komfort beim Fahren, sie minimieren auch die Wahrscheinlichkeit einer sehr häufigen Unfallursache bei Staus – das Auffahren in einer Stop-and-go-Situation, wie sie im Berufsverkehr oft vorkommt. Das ist komfortabel bei Langstrecken, zum Beispiel die Fahrt in den Urlaub, minimiert aber auch ein sehr großes Gefahrenpotential. Nun haben Sie die Halbleitertechnik als wichtigen Impulsgeber für das Automobil der Zukunft genannt. Aktuell erleben wir einen großen internationalen Mangel an Halbleitertechnik und Chips. Glauben Sie, dass sich dies die aktuellen Entwicklungen in der Mobilität ausbremsen oder anderweitig beeinflussen wird?
Es gab verschiedene Ursachen, warum Halbleiter – gerade auch in der Corona-Phase – Mangelware waren. Der Hintergrund – auch nach Corona – ist, dass die Nachfrage nach Hochleistungshalbleitern einfach immens wächst. Die Leistungsfähigkeit der Halbleiter wird für ganz viele Produkte immens wichtig und auch Produkte, von denen man früher angenommen hat, dass sie mit Halbleitern letztendlich gar nichts zu tun haben, werden vermehrt davon Gebrauch machen. Der automatische Rasenmäher braucht heutzutage einen KI-Hochleistungschip, um verschiedene Sensoren miteinander zu vernetzen, um ins Internet zu kommen und so weiter. Das ist genau die Revolution, von der ich eben auch mit Bezug auf die Automobilindustrie gesprochen habe. Diese Entwicklung wird dazu führen, dass nun die Kapazitäten aufgebaut werden müssen. Das ist eine große Herausforderung, da diese Fabriken extrem teuer sind. Im Grunde genommen ist das Teuerste, was man machen kann, eine Chipfabrik zu installieren. Ich freue mich sehr, dass es in Deutschland nun auch gelungen ist, mehrere Firmen für den Standort zu gewinnen. Gerade wurde in Dresden bekannt gegeben, dass TSMC und Infineon dort gemeinsam aktiv werden wollen. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis hier die Nachfrage wieder gedeckt werden kann. Dennoch ist klar: Die Halbleitertechnologie wird überall Einzug halten und der Bedarf wird riesig sein. Um so wichtiger ist es, dass wir uns in Deutschland darüber Gedanken machen, wie wir Teil dieser Technologie werden und auch von ihr profitieren können. In der Anwendung, aber natürlich auch in der Herstellung und in der Lieferkette.
Nun soll das Automobil der Zukunft nicht einfach nur digital, sondern auch emissionsfrei sein. Die Automobilindustrie ist also in einem fundamentalen Wandel auf vielen Ebenen. Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen für die klimaneutrale Mobilität von morgen?
Ich sehe die größte Herausforderung aktuell darin, dass es keine kostengünstigen Elektrofahrzeuge gibt. Wir haben in Aachen damit begonnen – vor fünfzehn Jahren mittlerweile – mit dem Streetscooter die Idee zu verfolgen, kostengünstige Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen. Schon damals haben wir erkannt, dass der größte Hebel für die Mobilitätswende der Preis von Elektroautos ist. Wenn die Kunden ein Angebot hätten, günstige Elektrofahrzeuge zu kaufen, dann wäre das Thema relativ schnell erledigt. Klar gibt es bei Elektrofahrzeugen Herausforderungen, insbesondere die Ladeinfrastruktur spielt eine ganz große Rolle. Das ist aber auch ein Henne-Ei-Problem. Wer baut eine Ladeinfrastruktur auf für Fahrzeuge, die nicht existieren, und wer kauft sich ein Elektroauto, wenn die Ladeinfrastruktur nicht da ist?
Es ist den etablierten Automobilherstellern aber auch nicht zur Last zu legen, da sie eine ganz andere Perspektive auf das Thema „Mobilität“ haben als Tesla sie einnehmen kann. Aber ich glaube, dass uns die Mobilitätswende gelingt. Auch hier ist die Produktionstechnologie wieder wichtig, da sie der Schlüssel dazu ist, kostengünstige Elektrofahrzeuge herzustellen. Dadurch könnte ein Groß-teil der Mobilität abgedeckt werden. Es gibt sicherlich viele Sonderfälle, bei denen batteriebetriebene Elektrofahrzeuge noch nicht die beste Wahl sind: Wenn ich lange Strecken fahre, wenn ich besonders hohes Gewicht transportieren muss. Bei besonderen Einsatzzwecken ist es sinnvoll, vielleicht eher wasserstoffbetriebene Fahrzeuge zu nutzen. Der Wasserstoff kann auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unser Energienetz in Deutschland besser auszugleichen, indem wir überschüssige Energie in Wasserstoff umwandeln und so in Situationen nutzen können, wo ein höherer Energiebedarf besteht. Aber grundsätzlich glaube ich, dass ein Großteil der Mobilität in Zukunft batterieelektrisch sein wird. Die meisten Fahrten sind Kurzstreckenfahrten: Pendelbewegungen von Zuhause zum Job oder in die KiTa. Deshalb sehe ich die Möglichkeit, durch kostengünstige Elektrofahrzeuge die Mobilitätswende voranzutreiben.
Noch mal zurückkommend auf die Digitalisierung: Wie verbinden sich aus Ihrer Sicht die Themen „Digitalisierung“ und „Nachhaltigkeit“ in Bezug auf Lieferketten? Sie hatten bereits angesprochen, dass die Digitalisierung Prozesse vereinfachen und beschleunigen wird, zum Beispiel über KI.
Die Digitalisierung muss meines Erachtens der „Befähiger“ sein für die ökologische Wende. Ich bin nicht davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, einen Großteil der Gesellschaft davon abzuhalten, weiter zu konsumieren und weiterhin in Urlaub fahren zu wollen. Das wäre die Alternative – dass wir uns alle beschränken und gewisse Dinge nicht mehr machen können, um die Emissionen zu reduzieren. Mein persönliches Menschenbild ist, dass es nicht ohne Weiteres möglich sein wird, die Menschen in diese Richtung zu bewegen oder zu motivieren. Nur ein Teil der Bevölkerung wird dazu bereit sein. Ich glaube, dass ein ganz maßgeblicher Beitrag sein muss, dass wir die Effizienz erhöhen. Mit Blick auf unseren Standort – und das gibt mir die Gewissheit, dass das funktioniert – muss man feststellen, dass wir seit hundertfünfzig Jahren im Grunde genommen nichts anderes machen in der Industrie. Wir versuchen ständig, den Ressourceneinsatz zu reduzieren. Wir können heutzutage ein Schwein für 150 Euro herstellen, weil jeder einzelne Schritt durchstrukturiert und optimiert ist. So können wir heute beispielsweise in der Landwirtschaft sehr günstig Fleisch produzieren. Das führt natürlich dazu, dass die Leute sich das leisten können und entsprechend konsumieren. Das bedeutet: Die Industrie hat grundsätzlich alle Werkzeuge, die sie braucht, um effizienter und ressourcenschonender zu produzieren. Wir müssen jetzt die Herausforderung angehen, dass bei der Produktion unserer Güter kein CO2 entsteht, beziehungsweise freigesetzt wird. Oder das CO2, welches entsteht, eingefangen wird. Dafür sind heute schon viele Technologien vorhanden. Nicht zu einhundert Prozent, das ist immer so, die letzten zehn bis zwanzig Prozent sind immer die schwierigsten. Zum Beispiel ist eine CO2-freie Stahlherstellung technisch sehr aufwändig und sicherlich noch in der Erprobungsphase. Aber grundsätzlich haben wir bereits sehr viele Technologien, die es uns ermöglichen, weitestgehend auf CO2-Emissionen zu verzichten in der Produktion. Wir müssen diesen Weg nun konsequent gehen. Das geht nur, wenn wir effizienter werden, und das wiederum geht nur, wenn wir die Digitalisierung nutzen. Insofern sehe ich die klare Verbindung zwischen der Digitalisierung, der Transformation und dem ökologischen Wandel.
Letztendlich ist es das, was wir auch tagtäglich im Cluster NMWP.NRW sehen, dass Ressourcenschonung und damit auch der Umweltschutz sehr viel mit dem High-Tech-Bereich als technologische Grundlage zu tun hat.
Ja. Umweltschutz hat für mich auch noch eine zweite Dimension bezogen auf die Transformation. Wir sprechen gerade über CO2 und Klimawandel, der in den Nachrichten durch die verheerenden Hitzewellen in Südeuropa, die Waldbrände in Nordamerika oder die Flutkatastrophe im Ahrtal seit einigen Jahren sehr präsent ist. Es ist aber nicht nur das Thema CO2, welches eine große Herausforderung für uns darstellt, sondern grundsätzlich auch der Artenschutz und das immer stärkere Eingreifen von uns Menschen in den natürlichen Lebensraum. Auch das ist eine Herausforderung, vor der wir stehen, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, und die dazu führen wird, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, einfach irgendwo ein neues Gewerbegebiet hinzustellen und Fabriken aufzubauen. Es hat sehr gute Gründe, warum wir den Natur- und Artenschutz berücksichtigen müssen. Das wiederum bedeutet, dass wir viel mehr darüber nachdenken müssen, wie wir die bestehenden Flächen und Infrastrukturen nutzen, um Industrie in Deutschland weiter aufrecht zu halten. Es ist also ein weiterer wichtiger Punkt, dass hier das Verständnis bei den Unternehmen noch wächst. Dass es uns gelingt, die Natur weiter zu erhalten. Es ist interessant: Oft halte ich einen Vortrag zu diesem Thema und frage zu Beginn, wer denn das persönliche Interesse verfolgt, die Welt, wie wir sie vorfinden, an seine Kinder, Enkelkinder oder einfach die nachfolgenden Generationen zu übergeben, wie man sie vorgefunden hat. Es ist natürlich klar, dass jeder hier zustimmt und dies für selbstverständlich hält. Aber aktuell ist es so, dass das Artensterben teils bedrohlich oder bereits irreversibel ist. Meines Erachtens ist klar, dass dies langfristig nur im Einklang funktioniert. Letztendlich steckt das aber auch schon in uns – die Naturverbundenheit und das Bewahren der Natur.
Effizienzsteigerungen und Ressourcenschonung erreicht durch Hochtechnologien, Produktionstechnologien und Digitalisierung würden den Umweltschutz auch schmackhaft machen. Nicht mehr nur der reine Verzicht, sondern auch nachhaltigere Produkte beziehungsweise eine Kreislaufwirtschaft leisten einen Beitrag, diesen Wandel mitzugestalten.
Und da ist noch ein weiterer Punkt: Niemand möchte doch neben einer grauen Fabrik leben, aus deren Schornstein schwarze Abgase kommen. Wir wollen doch alle Naturverbundenheit. Wir müssen auch unsere Fabriken umdenken. Wir müssen diese Flächen stärker zu Lebensräumen machen – zum Beispiel durch vertikale Begrünung. Das wiederum ist auch gut für die Arbeitnehmer, da durch solche Konzepte eine Fabrik lebendiger und lebenswerter wird. Das hat positiven Einfluss auf verschiedenste Parameter.
Wie zum Beispiel das Raumklima…
Ja, es gibt dann aber auch neue Herausforderungen, zum Beispiel mit Insekten (lacht). Durch den Artenreichtum kommt es dann auch zu Besuchen von ungebetenen Gästen in Büros und Produktionsstätten.
Herr Professor Burggräf, vielen Dank für das Gespräch.
Schauen Sie sich das Video des Interviews auch auf unserem YouTube-Kanal an:
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